Sonntag, 29. August 2010

Useful Reminders

Blessed are those that can give without remembering and take without forgetting.

They may forget what you said, but they will never forget how you made them feel.

The biggest mistake people make in life is not trying to make a living at doing what they most enjoy.

Anything in life that we don't accept will simply make trouble for us until we make peace with it.

Happiness is when what you think, what you say, and what you do are in harmony.

Kindness can become its own motive. We are made kind by being kind.

There can be no happiness if the things we believe in are different from the things we do.

Mittwoch, 25. August 2010

Das Ende meiner Sucht

Das Ende meiner Sucht" von Olivier Ameisen ist ein unbedingt lesenswertes Buch, das davon berichtet, wie der Autor, ein erfolgreicher Arzt und Wissenschaftler, seinen Weg aus der Alkoholabhängigkeit gefunden hat. Dabei hat Ameisen eine aussergewöhnliche Entdeckung gemacht, die bisher von den meisten im Bereich der Suchtherapie Tätigen nicht zur Kenntnis genommen wird. Dies erstaunt nicht, denn radikal neuen Erkenntnissen sind immer schon Steine in den Weg gelegt worden. Doch der Reihe nach:

Olivier Ameisen ist Alkoholiker und hat so ziemlich alles versucht, was an gängigen Angeboten zur Suchtbekämpfung vorhanden ist - Psychopharmaka, Rational Recovery, Meetings der Anonymen Alkoholiker (AA), Aufenthalte in Entzugskliniken - zudem betrieb er Sport und Yoga, doch nichts davon hielt ihn für längere Zeit vom Trinken ab. Dies lag nicht daran, dass er zuwenig motiviert war. So schreibt er:

"Das Konzept von Rational Recovery (RR) sprach mich sehr an. Die zentralen Voraussetzungen sind, dass Alkoholismus keine biologische Erkrankung ist, sondern ein Verhaltensproblem, das der Betroffenen mit seinen eigenen mentalen Ressourcen überwinden kann. Nach meiner Erfahrung erwiesen sich jedoch die "innere Macht", die bei RR eine so grosse Rolle spielt, und die "grössere Macht" (das hat der Autor falsch verstanden oder es ist ein Übersetzungsfehler, die AA-Literatur spricht von einer "höheren", nicht von einer "grösseren" Macht) der AA als ohnmächtig angesichts der überwältigenden Macht meines von Angst getriebenen Verlangens nach Alkohol. Entweder fehlte es mir entschieden an Willenskraft und/oder Spiritualität, oder meine Form des Alkoholismus hatte eine fundamentale biologische Komponente, die man mit Medikamenten würde angehen müssen."

Olivier Ameisen hat, wie viele Alkoholiker, sein Leben lang an Unzulänglichkeitsgefühlen gelitten und war sich "vorgekommen wie ein Hochstapler, der demnächst enttarnt werden würde. Schon lange bevor ich mit dem Trinken angefangen hatte, hatte ich Therapien gemacht. Ehrlich gesagt, hatten sie bei meinen Ängsten nicht viel geholfen." Sprach er mit Medizinern oder mit AAs über seine Ängste, meinten sie meist, diese würden verschwinden, wenn er mit dem Saufen (die deutsche Übersetzung spricht dauernd vom "Trinken", doch was Ameisen tat, war ganz klar "saufen") aufhöre. Doch dem war nicht so. "Ich litt an Ängsten, lange bevor ich Alkoholiker wurde. Aber alle, die mich wegen meiner Alkoholsucht behandelten, ignorierten diesen Punkt, wie oft ich ihn auch wiederholte."

Das Saufen wurde, trotz vieler dramatischer Versuche gegenzusteuern, schlimmer; die Abstürze wurden dramatischer - er brach sich Rippen und Handgelenk (für einen begabten Pianisten wie Ameisen eine ganz besondere Katastrophe) - , verfügte aber immer über genügend privilegierte Verbindungen, um jeweils wieder glücklich aus dem Schlamassel herauszukommen. Dabei gehört es zu den Stärken dieses Buches, dass es ungeschminkt benennt, was es zu benennen gilt: "Die Wahrheit ist, dass kein Abhängiger/keine Abhängige so viel Zeit zum Entzug bekommt, wie er oder sie braucht, sondern nur so viel, wie er oder sie sich leisten kann," Und: "Da es keine bewährte Therapie gibt, liegt der Hauptnutzen einer Entzugsklinik darin, dass sie dem Süchtigen die dringend nötige Pause vom Alkohol oder einer anderen Substanz oder Verhaltensweise bringt." Sicher, das auch, doch den wirklichen Hauptnutzen hat der Klinikbetreiber, für den der Entzug oft einfach nur ein Geschäft ist. Wer nachliest, wie Ameisen aus der Klinik Clear Spring ("das Ritz unter den Entzugskliniken") verwiesen wird, weil seine Versicherung die 500 US-Dollar pro Tag nicht mehr zahlte, hat diesbezüglich keine Illusionen mehr.

Es ist ein Wunder, dass Ameisen aus seiner Abwärtsspirale schliesslich herausfindet. Dass er es schafft, hat mit ganz verschiedenen Faktoren zu tun, doch entscheidend damit, dass er durch einen Artikel in der New York Times auf ein Medikament namens Baclofen stiess, welches das Craving unterdrückt. "Verlangen oder Craving ist ein schwer fassbarer Begriff, weil er körperliche, emotionale und mentale Symptome umfasst, die in Wellen über Stunden und Tage hinweg auftreten. Für mich war es eine brutale Tatsache des Lebens. Im schlimmsten Fall, das haben Forschungen gezeigt, ist das Verlangen nach einem Suchtmittel wie der Hunger eines verhungernden Menschen: Die gleichen Hormone werden freigesetzt und die gleichen Gehirnregionen aktiviert. Das Nationale Institut für Alkoholmissbrauch und Alkoholismus (National Institute on Alcohol Abuse and Alcoholism, NIAAA) hat festgestellt, dass das Verlangen nach Alkohol sogar schlimmer sein kann als Hunger oder Durst und dass, wenn der Alkoholismus den Betroffenen im Griff hat, das Gehirn Alkohol als lebensnotwendig ansieht."

Baclofen, ein Mittel, das gegen Muskelkrämpfe verschrieben wurde, soll das Craving unterdrücken können? Ameisen hat es im Selbstversuch getestet, und ja, es hat gewirkt. Ein paar wenige Ärzte haben es bisher an Patienten ausprobiert, und ja, es hat gewirkt. Nein, nicht bei allen. Denn auch wenn man, wie Ameisen das tut, Abhängigkeit als eine biologische Krankheit versteht, muss ein Patient zuallererst immer noch ausreichend mit dem Saufen aufhören wollen. Zudem: 12-Schritte-Programme und andere Verhaltenstherapien wird es nach wie vor brauchen, denn diese sind vor allem nach 6 bis 18 Monaten Abstinenz am wirksamsten. (Wie Mark Twain bekanntlich sagte: Mit Rauchen aufhören, sei überhaupt kein Problem, er habe es schon Hunderte von Malen gemacht.).

Fazit: eine in vielerlei Hinsicht empfehlenswerte Lektüre, nicht zuletzt, wegen Sätzen wie diesen: "Mir war seit Langem klar, dass Alkoholiker und andere Abhängige nicht mit dem üblichen Mass an Mitgefühl und Fürsorge rechnen können, wenn sie medizinische Hilfe brauchen." Und: "Die Wahrheit lautet, dass meine Mutter und meine Geschwister nichts hätten tun können, um mich von meinem schweren Alkoholismus zu heilen, Was ich von ihnen brauchte und was die Angehörigen aller Suchtkranken nur so schwer in einer Weise geben können, dass der Suchtkranke es annehmen kann, waren Liebe und Mitgefühl."

Dr. Olivier Ameisen
Das Ende meiner Sucht
Verlag Antje Kunstmann, München 2009

Sonntag, 22. August 2010

Wir sind alle süchtig

"Nicht die Droge ist's, sondern der Mensch" enthält Beiträge von Walther H. Lechler (Nicht die Droge ist's, sondern der Mensch; Wir sind alle süchtig), W. Seidenwerth (Rückfälle und menschliche Natur), Berthold K. (Vom Nutzen der Sucht für das Leben), Ambros Wehrli (Behandlungskonzepte für Drogensüchtige), Karl A. Geck (Suchtgesellschaft kurz vor dem Entzug) und Karl M. (Münchhausen lässt grüssen) und ist uneingeschränkt zu empfehlen. Um diese Behauptung zu illustrieren, will ich im Folgenden ganz willkürlich aus den verschiedenen Beiträgen zitieren. Auch deswegen, weil ich keine Veranlassung sehe, mit eigenen Worten zu sagen, was andere schon treffend ausgedrückt haben:

"Drogen machen nicht süchtig. Alkohol verursacht nicht den sogenannten Alkoholismus", mit diesen Sätzen leitet Walther Lechler seinen Beitrag, "Nicht die Droge ist's, sondern der Mensch", ein. Es versteht sich: Das sehen die meisten im Bereich Sucht arbeitenden Menschen (und von dieser Sucht ganz gut lebenden - man denke an die Pharmaindustrie, Therapeuten, Sozialarbeiter, Politiker, Anwälte, Soziologen, Beistände etc.) ganz anders: "Wehe dem, der sich offen oder versteckt anschickte oder heute versucht, die heilige Kuh eines bereits fest institutionalisierten, wissenschaftlichen Glaubens zu schlachten oder ihr nur das Recht ihrer Stellung abzusprechen!"

Aufklärung ist von Nöten: "Die Metapher 'Alkohol' heisst übersetzt nicht allein C2H5OH oder Äthylalkohol, oder aqua vitae, sondern ist ganz schlicht Synonym von Lebenslüge, Selbstbetrug und Selbsttäuschung. Sie bezeichnet alles, was dazu dienen kann, unseren Blick vor der Wirklichkeit zu verstellen." Und was die Hilfe für Süchtige angeht, da zitiert Lechler u.a. Konstantin Wecker:

"Einem Drogensüchtigen kann man nicht helfen, höchstens Brücken bauen. Er traut nur Gleichgestellten, die ihn nicht in ihr eigenes Lager führen wollen, sondern einfach mal liebevoll die Hand ausstrecken und ihn dann auch nach seinem eigenen Willen und Weg weiterziehen lassen."

"Wir sind in dem Wahn gefangen, dass wir die Sucht besiegen können - doch wir alle - der Süchtige und wir - wissen, dass es nicht stimmt, aber wir tun so als ob", liest man bei Berthold K. Und weiter: "Der Süchtige glaubt im Stillen immer noch, dass er die Sucht in den Griff bekommt ... und so wird der Kampf der Drogenbekämpfungskämpfer fortgesetzt", obwohl: "Keiner weiss, was hilft - keiner kann sagen, was Süchtige zur Umkehr zwingt - darum muss man die fragen, die es geschafft haben." Und was sagen die? Einer von ihnen, Berthold K., sagt dies: "Ich weiss, dass meine Genesung da begonnen hat, wo ich den Kampf gegen die Droge Alkohol endgültig aufgegeben habe - wo ich auf der ganzen Linie kapituliert habe ... Süchtige geben ihr Spiel - ihren Kampf mit der Droge - dann auf, wenn kein Gewinn mehr erkennbar ist ... wenn sie etwas gefunden haben, was ihnen mehr bringt als das Spiel mit der Droge. Wenn ihr Leben wieder einen Sinn hat!"

Ambros Wehrli drückt "diesen Kampf aufgeben" so aus: "Bei den meisten Süchtigen besteht erst eine echte Chance zur Umkehr, wenn sie 'gegen die Wand' laufen, also an einen Punkt kommen, wo es nicht mehr weitergeht."

"Ich gehe von Folgendem aus", schreibt Karl Geck: "Im Heideggerschen Sinn sind wir Menschen in diese Welt geworfen und müssen, ob wir das nun wollen oder nicht, uns verhalten, Antwort geben durch unser Leben auf Fragen, die wir nicht beantworten können. Und unsere Antworten haben Folgen, die wiederum auf uns zurückwirken, unsere Realität bestimmen." Diese Antworten (und damit unsere Realität) können ganz verschieden aussehen: man kann sich mit diesem Hineingeworfensein ins Leben, mit der Wirklichkeit also, auseinandersetzen, sich ihr stellen; man kann versuchen, sie zu kontrollieren oder man kann sich ihr verschliessen, indem man sich betäubt (durch Drogen, politisches Theater, selbstgeschaffene Probleme etc.). Die Kontroll- und Vermeidungsvariante sind die beiden gängigsten; die Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit, die am wenigsten übliche, denn diese setzt eine "neue" Art zu leben voraus. Nochmals Karl Geck: "Es geht um Veränderung, ja mehr, es geht um wesensmässige Veränderung: um Transformation."

Walther H. Lechler (Hg.)
Nicht die Droge ist's - sondern der Mensch
Santiago Verlag, Goch 2009
http://santiagoverlag.de

Mittwoch, 18. August 2010

Von der Politik, den Medien und der Sucht

In seinem Buch "Höhenrausch. Die wirklichkeitsleere Welt der Politiker" hat der deutsche Historiker und langjährige Spiegel-Autor Jürgen Leinemann der Herkunft und Lebensgeschichte der politischen Akteure wie auch den sozialen Rollen, die sie spielen, nachgespürt. Und er hat, weil er nicht nur genau zu beobachten weiß, sondern oft auch Zusammenhänge bemerkt, die von viel Menschenkenntnis zeugen, Schilderungen von erhellender Eindrücklichkeit zustande gebracht.

Helmut Schmidt, der als deutscher Bundeskanzler mehr als ein Dutzend Mal bewusstlos zusammengebrochen war, und Franz Josef Strauß, der gemäß seiner Lebensgefährtin Renate Piller "einfach nicht nippen" konnte, hat Jürgen Leinemann als süchtig erlebt; Joschka Fischer, der vom unmäßigen Bechern und Futtern zum unmäßigen Joggen (und wieder zurück) wechselte, ist ihm ein Exempel an Suchtverlagerung. Leinemann, der wohl zu den kenntnisreichsten politischen Berichterstattern Deutschlands gehört, weiß, wovon er schreibt – er ist selber süchtig, er hat sich seiner Sucht gestellt, ist mittlerweile schon lange trocken.

Seit zwanzig Jahren wusste er, dass er über seine Erfahrungen und Beobachtungen zum Thema Sucht und Politik ein Buch schreiben würde. Warum hat er so lange gewartet? "... weil ich wusste, dass ich mich selbst als Süchtiger zu erkennen geben müsste, sollte die Charakterisierung der Politiker als potenzielle Erfolgs-Junkies nicht denunzierend wirken." Zudem wollte er sich erst als trockener Alki bekennen, wenn er nicht mehr für den Spiegel, der ihn, als er es nötig hatte, schützte und stützte, im politischen Tagesgeschäft tätig war, denn schließlich begegnet man auch in unseren vermeintlich aufgeklärten Zeiten einem Süchtigen nach wie vor mit (moralisch eingefärbten und diffamierenden) Vorbehalten.

Das Wort 'Sucht’ kommt nicht von 'suchen', es kommt von 'siech' und das heißt krank. Ein Süchtiger ist ein Kranker, der die Wirklichkeit als unerfüllt oder bedrohlich erlebt und nun versucht, diesem Gefühl Abhilfe zu schaffen, sei es durch chemische Substanzen wie Alkohol oder Rauchwaren, sei es durch Arbeit oder öffentliche Anerkennung. Man gewöhne sich an solche Mittel, durch ständige Wiederholung und immer höhere Dosierung entstehe zunächst Abhängigkeit, dann Sucht, schreibt Leinemann, und fügt hinzu:

"Einzugestehen, dass ich zwar alkoholabhängig war, dass mein süchtiges Verhalten aber nicht durch Whisky, Bier oder Wein erzeugt wurde, sondern dass umgekehrt der Suff die Folge eines persönlichen Defizits war, fiel mir nicht leicht. Es half aber, dass ich schnell merkte, wie sehr auch andere sich mit dieser Problematik herumschlugen – nicht zuletzt in der Politik."

Die Beweggründe eines Politikers, hat Willy Brandt gesagt, ergäben sich häufig mehr aus dessen Struktur als aus den eingespielten politischen Regeln. Auf dieser Einsicht gründet Leinemanns Berichterstattung. Sorgsam hat er jeweils der Herkunft und Lebensgeschichte der politischen Akteure wie auch den sozialen Rollen, die sie spielen, nachgespürt. Und er hat, weil er nicht nur genau zu beobachten weiß, sondern oft auch Zusammenhänge bemerkt, die von viel Menschenkenntnis zeugen, Schilderungen von erhellender Eindrücklichkeit zustande gebracht, die einem noch lange im Kopf bleiben. Diese hier zum Beispiel:

"Franz Josef Strauß war nicht nur der bayerische Kraftbolzen, als der er sich mit Vorliebe gerierte and als den ihn Freund und Feind bewunderten. Er war auch empfindlich, verwundbar und ängstlich. In Wahrheit kennzeichnete ihn Unstimmiges. Statisch und dynamisch war er zugleich, grazil und massig, großspurig und kleinmütig. Er marschierte ja nicht, wie das Klischee behauptete, er walzte nicht und schon gar nicht schob er sich vorwärts. Er hastete vielmehr in weicher Eile, verfiel fast ständig in einen unsteten Trippeltrab. Sein Gang hatte kein Gewicht."

Leinemanns Buch überzeugt nicht zuletzt, weil er offen legt, dass seine jeweilige Sichtweise mit seiner persönlichen Biografie, mit dem jeweiligen Stand seiner Selbsterkundung zu tun hat. Damit macht er klar, dass es objektive Berichterstattung nicht gibt, sie nicht geben kann; dass man, um wahrhaft Zeugnis ablegen zu können, auch über sich selber Auskunft geben muss, sich selber und anderen gegenüber. Über Strauß zum Beispiel konnte er erst (und vor allem darum) einfühlend schreiben, als er entdeckte, dass es mit dem Bayer – "nicht in seinen politischen Inhalten und seinen gesellschaftlichen Zielen und schon gar nicht in seinen finanziellen Praktiken, wohl aber in seinen verdeckten Ängsten, in den Lebenszielen des ehrgeizigen Aufsteigers, in den emotionalen Einfärbungen und den zeitgeschichtlichen Prägungen durch eine autoritäre Familien- und Kleinbürgerwelt – mehr Ähnlichkeiten und Überschneidungen [gab], als ich mir in meinen schlimmsten Alpträumen hätte ausmalen können."

Auch wenn der 1937 im niedersächsischen Celle geborene Historiker, der seit 1971 für den Spiegel arbeitet, eine Fülle von Informationen verarbeitet und eine veritable, aus der Nähe miterlebte, deutsche Polit- und Politiker-Geschichte der zweiten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts vorgelegt hat, die eigentliche Stärke seines Buches liegt in der Selbstreflexion, zu der auch die Einordnung des eigenen Ego in Zeit und Kultur gehört: "... es bedurfte des völligen physischen und psychischen Zusammenbruchs, bis ich begriff, dass mein privates Unglück, meine zunehmende Entfremdung von mir selbst, vom gesellschaftlichen und politischen Umbruch dieser Jahre nicht zu trennen war."

Eine zunehmende 'Versüchtelung' der Gesellschaft diagnostiziert der Suchtexperte Werner Groß in der heutigen Zeit – mehr denn je scheint der Mensch von Sucht bedroht; das von den Medien geförderte Bedürfnis nach der Droge Aufmerksamkeit ("die unwiderstehlichste aller Erfolgsdrogen") trägt nicht wenig dazu bei.

Er schreibe doch jetzt seit vier Jahrzehnten über Politik, das sei also auch sein Leben, meinte Die Zeit in einem Gespräch mit Leinemann und fragte: "Warum tun Sie sich das an? Immer noch einen leeren Egomanen? Immer noch einen, der nicht aufhören kann?", worauf dieser antwortete: "Vielleicht bin ich auch so. Ein bisschen. Sonst würde mich diese Welt wohl nicht so faszinieren."

Sonntag, 15. August 2010

Die überschätzte Vernunft

Viele Suchttherapien gehen davon aus, dass durch Einsicht Verhaltensveränderungen herbeigeführt werden können. Die Lebenserfahrung lehrt, dass das nur selten der Fall ist. Zudem gilt: das menschliche Verhalten ist etwas komplexer als unserer Ursache-Wirkungs-Philosophie uns glauben lässt.

Aber es wäre wahrlich ein Narr, wer annähme, dass irgendein Leben einer schlichten Folgerichtigkeit gehorcht, oder verdient wäre, oder selbstverständlich.
Robert Creeley: Autobiographie

Während er den versilberten Hobel über seine mit parfümiertem Schaum bedeckten Wangen führte, erinnerte er sich seiner verworrenen Träume und schüttelte nachsichtig lächelnd, mit dem Überlegenheitsgefühl des im Tageslicht der Vernunft sich rasierenden Menschen den Kopf über so viel Unsinn.
Thomas Mann: Der Zauberberg

Mittwoch, 11. August 2010

Addiction Treatment

From "Alcohol, Cradle to Grave", an article in the Great Falls Tribune that won the Pulitzer Prize in 2000:

At Benefis Healthcare in Montana the emphasis is on motivation.
„Without motivation, it doesn't matter what other resources you have.“ said Dirk Gibson, supervisor of the Addiction Treatment Center at Benefis. „Without motivation you have nothing.“

One way to do that is by stressing the pleasure alcoholics can find by changing their lifestyle.
Another is by stressing the pain they can avoid by quitting drinking.

A lot of people realize that on their own, said Dr. Dan Nauts, medical director of the Benefis Addiction Treatment Center.„A majority of the people who quit abusing substances do it on their own without treatment,“ Nauts said. „Fifty percent of heroin addicts who stop using do so without treatment.“
„Motivation is really the key,“ he added.

One critical aspect is an intensive assessment in which counselors carefully listen to a patient to understand individual concerns, Gibson said. He cited the case of a retired military officer, intelligent and well read, who kept drinking himself into the hosptîtal's detox center.

They worked to find a reason to keep the man from drinking, but couldn't. Even death wasn't a threat.But when they told him he was likely to die in a nursing home, unable to control his movements or his bowels, that struck a nerve. „He called me a month later and said, 'I'm ready to make a change,'“ Gibson said. „And he did.“

Sonntag, 8. August 2010

Stockbesoffen

"Man hat ihr wieder den Führerschein abgenommen, sie ist das dritte Mal in den letzten anderthalb Jahren mit Alkohol am Steuer erwischt worden. Ich sag zu ihr: 'Herr im Himmel, kannst du nicht was trinken, ohne jedes Mal stockbesoffen zu werden?` Sagt sie: 'Was soll denn das für 'nen Sinn haben?'"

Elmore Leonard: Callgirls

Eine weitere Hand berührte meine Schulter. Joza fegte sie wortlos beiseite. Ich hielt den Atem an. Noch eine Sekunde, und es würde eine Schlägerei geben.
Es gab keine. Der abgewiesene Kandidat war noch nicht ausreichend betrunken, weshalb er fähig war, seine Chancen abzuwägen.

Kveta Legatova: Der Mann aus Zelary

Mittwoch, 4. August 2010

Addiction is a decision

I sit and I listen. I sit and I think. I don't ask any questions and I don't say a word. I would like to stand up and scream bullshit this is all fucking bullshit, but I don't do it. I don't believe that addiction is a disease. Cancer is a disease. It takes over the body and destroys it. Alzheimer's is a disease. It takes over the body and the mind and it ruins them. Parkinson's is a disease. It takes over the body and the mind and makes them shake and it wrecks them. Addiction is not a disease. Not even close. Diseases are destructive Medical conditions that human beings do not control. They do not choose when to have them, they do not choose when to get rid of them. They do not choose the type of the disease they would like or in what form it is delivered, they do not choose how much of it they would like or at what time they would like it. A disease is a Medical condition that must be dealt with using Medical technology. It cannot be dealt with using a Group or a set of Steps. It cannot be dealt by talking about it. It cannot be dealt with by having Family Members attend three-day seminars about it or by reading books with blue covers or saying prayers about serenity.
Although genetics and a genetic link may be undeniable, everything about us is genetic, and everything about our physical selves is predetermined by a genetic link. If an individual is fat but wants to be thin, it is not a genetic disease. If someone is stupid, but wants to be smart, it is not a genetic disease. If a drunk is a drunk, but doesn't want to be a drunk anymore, it is not a genetic disease. Addiction is a decision. An individual wants something, whatever that something is, and makes a decision to get it. Once they have it, they make a decision to take it. If they take it too often, that process of decision making gets out of control, and if it gets too far out of control, it becomes an addiction. At that point the decision is a difficult one to make, but it is still a decision. Do I or don't I? Am I going to take or am I not going to take? Am I going to be a pathetic dumbshit Addict and continue to waste my life or am I going to say no and try to stay sober and be a decent Person. It is a decision. Each and every time. A decision. String enough of these decisions together and you set a course and you set a standard of living. Addict or human. Genetics do not make that call. They are just an excuse. They allow People to say it wasn't my fault I am genetically predisposed. It wasn't my fault I was preprogrammed from day one. It wasn't my fault I didn't have any say in the matter. Bullshit. Fuck that bullshit. There is always a decision. Take responsibility for it. Addict or human. It's a fucking decision. Each and every time.

James Frey: A Million Little Pieces

This is the way I see it: Addiction is both, a decision and a disease. Sure enough: to drink or not to drink is a decision. Yet once the alcoholic has started to drink, the alcohol takes over, and from that moment onwards the alcohol is in charge and decides: drinking has turned into a disease, whether in a medical sense or not is beside the point for the alcoholic is surely dis-eased. What for me is important in this excerpt is the emphasis on personal responsibility - I completely share it.

Sonntag, 1. August 2010

Was gut tut

Was man will, und was einem gut tut, deckt sich häufig nicht. Deshalb lernt man in meiner Suchttherapie unter anderem auch Verhaltensweisen, die man so recht eigentlich gar nie hat lernen wollen. Sehr schön illustriert ist das hier:

Im folgenden lehrte sie mich nach und nach zu kochen, zu nähen, zu häkeln, zu stricken, Flachs zu riffeln, Besen zu binden, mit der Töpferscheibe umzugehen, den Garten zu pflegen. Meine ans Skalpell gewöhnten Hände hantierten mit dem Kochlöffel, der Nadel, dem Rechen, der Hacke und der Sense.
Nur Holz zu hacken erlaubte mir Joza nie.
Ich verstand es nicht, fragte aber nicht, weshalb.
Hätte ich darüber nachgedacht, warum ich an diesen ungewohnten Tätigkeiten Gefallen fand, wäre ich erschrocken.
Ich dachte nicht darüber nach.
Noch nie in meinem Leben hatte ich etwas mit solcher Selbstverständlichkeit akzeptiert.
Die Freude war auf einmal da. Sie trieb mich einer Arbeit zu, gegen die ich von Kindheit an einen Widerwillen gehabt hatte. Selbst auf unseren Ausflügen war mir das Würstchenbraten, das Kochen der Suppe oder Pilzerösten als eine erniedrigende Tätigkeit erschienen, durch die Mädchen diskriminiert wurden.
In der Hütte des alten Mánek fegte ich die Diele und hatte kein unangenehmes Gefühl dabei. Kein bisschen. Sogar das Klosettbrett scheuerte ich mit Vergnügen.
Davon hatte Grossmutter früher gesprochen. Arbeit ist Glück.
Ich war eine glückliche Ärztin gewesen.
Nun war ich die glückliche Hausfrau eines "Dorftrottels".
Es dauerte nicht lange, und unser Haus war eingerichtet.

Kveta Legatova: Der Mann aus Zelary