Mittwoch, 29. November 2023

One day at a time

 One day at a time is not only good advice when it comes to fighting an addiction, it is also a wise recipe for living your life for it helps to bring the noise in your head to an occasional standstill

In practical terms it means to take your time, to not rush things, to regularly pause ... and to just look, listen, and feel.

Sargans, Switzerland, 1 July 2023

I'm writing this on a day for which I had plans – I wanted to take the train and gor for a walk in one of the nearby valleys. The weather however was stormy and so I decided to drop this idea. So what would I do instead on this Saturday?

I continued with a book that I was supposed to review – interviews with nobel laureates of literature. Many of the questions revolved around their work and did not particularly interest me. Once in a while, a laureate said something that made me pause. Garcia Marquez, for instance, said that he learned from Faulkner and Hemingway the technique of the inner monologue. Contrary to my ususal impulse which is to go on reading, I stayed with that thought for quite a while. Likewise with Doris Lessing's remark about her father who after World War I found it impossible to settle again in small, well-ordered  Britain.

To stay with a thought and the pictures in my head that it creates is quite contrary to my nature that is subjected to my restless brain that is constantly pressing forward. This Saturday afternoon however I did not give in to my brain's demands. Instead I opted for one thought at a time.

Mittwoch, 22. November 2023

Phobien & Manien

 
"Wir werden alle getrieben von unseren Ängsten und Sehnsüchten, und nicht selten sind wir sogar ihre Sklaven." Mit diesem Satz beginnt Kate Summerscale Das Buch der Phobien & Manien. Eine Geschichte der Welt in 99 Obsessionen. Es war einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten, der im Jahre 1786 den Anstoss gab, derartigen Fixierungen Namen zu geben. Er verstand "Phobie" und "Manie" als psychologische Probleme. Heutzutage muss eine Furcht, um als Phobie diagnostiziert zu werden, "exzessiv und unangemessen sein und bereits sechs Monate oder länger dauern." 

Die Meinungen über die Gründe für diese Zustände gehen weit auseinander. Kate Summerscales Herangehensweise ist nicht interpretativ, sondern beschreibend. "Eine Phobie oder eine Manie wirkt wie ein Zauber. Sie versieht einen Gegenstand oder eine Handlung mit einer geheimnisvollen Bedeutung und gibt ihnen die Macht, uns in Besitz zu nehmen und zu verwandeln. Diese Zustände können durchaus bedrückend sein, doch sie bezaubern die Welt um uns herum auch und machen sie so schaurig und lebendig wie ein Märchenland. Die haben uns buchstäblich fest im Griff, wie mit Zauberhand, und offenbaren damit unsere eigene Wunderlichkeit." Man sollte sich für diese Worte Zeit nehmen, auf dass sich einem erschliessen möge, dass diese gemeinhin negativ-konnotierten Begriffe auch ganz anders gesehen werden können.

99 Obsessionen? Ganz schön viel, ich bin ziemlich erstaunt. Sicher, von einigen hat man gehört, der Nymphomanie zu Beispiel. Als Mittel dagegen, empfahl 1856 ein Arzt seiner Patientin, "eine Zeitlang auf Sex zu verzichten, Weinbrand und andere Genussmittel zu meiden, das Schreiben zu unterlassen (sie arbeitete an einem Roman) und ihre Vagina mit einer Boraxlösung auszutupfen. Sofern sie nicht ihre Fantasien zügele, warnte er, lande sie womöglich in einem Irrenhaus."

Die Furcht vor Schmutz war mir hingegen nicht bekannt. Genauso wenig die Dromomanie, das zwanghafte Weglaufen. Auch  die Nomophobie, wie die Handyabhängigkeit auch genannt wird, habe ich bisher nicht als Obsession begriffen, obwohl sie es zweifellos ist. "Allerdings hat sich unsere Abhängigkeit von Telefonen inzwischen so sehr verstärkt, dass sich nur schwer ermessen lässt, an welchem Punkt sie überhaupt in eine unnatürliche Obsession übergeht."

Bei nicht wenigen Manien war mir das Phänomen bekannt, der Ausdruck dafür jedoch nicht. so bezeichnet Arithmomanie eine pathologische Lust am Zählen. Die illustrativen Beispiele, die Kate Summerscale aufführt machten mich laut herauslachen. Etwa: " ... interpretierte Sigmund Freud in Wien das obsessive Zählen von Dielen und Stufen bei einer jungen Frau als den Versuch, sich von ihren erotischen Fantasien abzulenken." Das klingt eher nach einer Selbstauskunft als nach einer Analyse. Oder: "Der serbischstämmige Ingenieur Nikola Tesla war besessen von der Zahl drei. Der Erfinder einer frühen Form des Wechselstrommotors lief dreimal um ein Gebäude, bevor er es betrat, und achtete darauf, dass die Anzahl seiner Schritte stets durch drei teilbar war, bevor er stehenblieb."

Apropos Zahlen: "Eine irrationale Angst vor der Zahl vier (tessares auf Altgriechisch) kommt in ostasiatischen Ländern häufig vor, da in mehreren Sprachen (zum Beispiel Mandarin, Kantonesisch, Koreanisch und Japanisch) das Wort für 'vier' ganz ähnlich klingt wie das Wort für 'Tod'". Obwohl die Tetraphobie für viele nur gerade eine milde Form des Aberglaubens ist, belegte eine Studie über Todesfälle in den USA, dass bei Amerikanern asiatischer Herkunft, die tödlichen Herzanfälle am vierten Tag des Monats signifikant höher lagen.

Sehr schön zeigt Das Buch der Phobien & Manien, dass unsere Einschätzung von "Aus-dem-üblichen-Rahmen-Fallendem" in hohem Masse den Zeitgeist widerspiegelt, Dabei erfährt man auch viel Skurriles. So gab es in den 1890er Jahren eine regelrechte Lauf-Epidemie, also Menschen, die mit dem Laufen nicht mehr aufhören konnten. Und man erfährt von den Collyer-Brüdern, zwei reichen New Yorkern, die in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts 170 Tonnen an Gegenständen horteten. Dieses schön gestaltete Werk ist eine wahre Fundgrube an Eigenartigem und Faszinierendem

Erhellend, amüsant und lehrreich.

Kate Summerscale
Das Buch der Phobien & Manien
Eine Geschichte der Welt in 99 Obsessionen
Klett-Cotta, Stuttgart 2023

Mittwoch, 15. November 2023

Shaolin Spirit

Shi Heng Yi, der Autor dieses Werkes wurde 1983 in  Kaiserslautern geboren. Seine Eltern stammen aus Laos und gehörten zu den boat people, die damals vor den anrückenden Vietcong flohen. "Meine Eltern haben massgeblich dazu beigetragen, dass ich den Shaolin-Weg beschritten habe, indem sie mich von klein auf geistig und in meiner Lebenshaltung geprägt und mir die konfuzianischen Tugenden nahegebracht haben."

Die konfuzianischen Tugenden sind so recht eigentlich universelle Tugenden wie Menschlichkeit/Nächstenliebe, Gerechtigkeit/Rechtschaffenheit, Riten/Sittlichkeit, Weisheit sowie Aufrichtigkeit/Verlässlichkeit. Und auch der Shaolin-Orden praktiziert ein universelles Prinzip, das sich mit mens sana in corpore sano charakterisieren lässt.

"Es kommt auf das Jetzt an", lese ich in der Einführung in den Shaolin Spirit, der mit einer respektvollen Verbeugung beginnt, die uns daran erinnern soll, "dass die Person, mit der wir gerade zu tun haben, in diesem Augenblick mit uns verbunden ist. Es kommt auf diesen Augenblick an, darauf, in der Gegenwart zu leben und sich darüber bewusst zu werden, was hier und jetzt ist – denn das Jetzt ist der Moment, in dem Leben passiert, und nur im Jetzt können Veränderungen stattfinden."

Shaolin ist eine Kampfkunst, die im Buddhismus gründet. das Ziel ist, im Gleichgewicht zu sein, geistig und körperlich. Dieses Buch erläutert zahlreiche Methoden wie zum Beispiel die Regulation der Atmung, die helfen sollen, dieses Ziel zu erreichen. Unterschieden und geübt werden können die Tiefe, die Dauer und der Rhythmus der Atmung.

"Die Shaolin-Tradition ist untrennbar mit dem Buddhismus verbunden, insbesondere mit dem Chan- oder Zen-Buddhismus." Der Buddhismus gründet in den vier edlen Wahrheiten, die der Autor in einfachen Worten und an praxisnahen Beispielen überzeugend darzustellen weiss. Dabei ist die rechte Einsicht wesentlich, wir müssen die Dinge erkennen, wie sie sind. "Nicht alles, was im Leben geschieht, hängt von uns ab. Doch immer liegt es in unserer eigenen Hand, wie wir mit der jeweiligen Situation umgehen – wir können uns immer wieder neu ausrichten."

Übrigens: Die Dinge zu erkennen, wie sie sind, meint unter anderem: Alles ist vergänglich; was kommt, geht auch wieder. Es gehört zu den Vorzügen dieses schön gestalteten Werkes, dass es Shi Heng Yi ausgezeichnet versteht, buddhistische Wahrheiten zu vermitteln.

Buddhisten halten das Ich für eine Illusion, eine Vorstellung, mit der Westler so ihre liebe Mühe haben. Ich denke, also bin; es sind meine Empfindungen, die mich ausmachen – so sehen es Westler. Nein, meint der Buddhist, "Gefühle und Gedanken kommen und gehen. Ich lasse sie einfach los." Mit anderen Worten: "Die Emotionen zu kontrollieren bedeutet nicht, keine Emotionen zu haben. Vielmehr sind wir frei geworden von dem willkürlichen Diktat der Gefühle und Erwartungen. sei es der eigenen oder derjenigen anderer Menschen."

Shi Heng Yi führt das Beispiel des Heisshungers an, der uns während einer Diät anfallen kann, dem wir nicht ausgeliefert sind, wenn wir wahrnehmen, beobachten und ihn als das erkennen können, was er ist  "eine Körperempfindung, nicht mehr und nicht weniger." Nochmals anders gesagt: Ich bin weder meine Gefühle noch meine Gedanken. Indem ich sie als das betrachte, was mir zustösst und mich wieder verlässt, verlieren sie an Bedeutung und belasten mich nicht.

Wer genau hinschaut, wird realisieren, dass er sich oft selbst im Weg steht. Es liegt meist nicht an den Einsichten, dass wir nicht so leben, wie wir gemäss unserer Vorstellung leben sollten, es liegt daran, dass wir zu wenig oder gar nicht praktizieren, was wir wissen, das wir praktizieren sollten. Fünf wesentliche Hindernisse führt Shi Heng Yi an. Eines will ich hier anführen: Mentale und/oder körperliche Trägheit. Und was ist dagegen zu tun? "Stärke deinen Körper und dein Geist wird folgen. Lerne Ausdauer, Wille und Vertrauen in dich über den Körper."

The readiness is all, sagt Horatio in Hamlet. Shi Heng Yi drückt es so aus: "Deine Geisteshaltung – wie die eines jeden Menschen – bestimmt über Erfolge und Misserfolge." Mit Erfolg meint er übrigens nicht, was wohl die meisten Westler, die nach dem Äusseren streben und wettbewerbsorientiert denken, darunter verstehen, "Ich stehe nicht mehr im Wettbewerb mit anderen, sondern nur noch mit mir selbst." Erfolg bedeutet, Meister seiner selbst zu sein.

Fazit: Ein schön gestaltetes, überaus anregendes, hilreiches und lebenspraktisches Buch, illustriert mit zahlreichen Übungsanleitungen.

Shi Heng Yi
Shaolin Spirit
Meistere dein Leben
O.W. Barth, München 2023

Mittwoch, 8. November 2023

Time is an Illusion

Bucharest, Romania, 9 May 2023

After twenty years of writing on photography (pondering questions of perception, that is), I've started to regularly take photos myself. Soon I discovered my fascination for, among quite some other things as the pics on this site demonstrate, trees and clouds (examples you will find here). When the other day I was going through photos I had taken many years ago I felt quite stunned that taking photographs of trees and clouds was quite obviously something that I had always done.

The same applies to my view of the world: It seems to have been the same all along. I realised that (albeit not for the first time) when I recently told one my brothers that only the present exists and that the past as well as the future were illusions (helpful ones, of course, for they allow us to organise our lives and help watchmakers to make money) since I can only experience the present, my brother let me know that I had always argued like that. In other words, what I thought to be a new discovery turned out to be a defining feature of my existence.

Bilbao, Spain, 25 April 2023

Throughout my life I have been interested in Zen (or what I thought to be Zen). We are perfect but do not know it, is one of the sayings I've tried to come to terms with. In the course of grappling with this issue I concluded that the surest way to go nuts is to load what happens to you with (supposed) meanings. So how could we possibly rid ourselves of this need for meaning?

By simply observing ourselves we realise that everything works the way it is meant to work. We walk and talk, look and hear without making much of a conscious effort. And then, one day, all this stops. Just like that. It is all very strange and too much for us to comprehend. And although it is part of our nature to try to make sense of whatever, I nowadays tend to believe it might be better to simply experience life as it presents itself. For as the Zen saying goes: If you understand, things are just as they are. If you do not understand, things are just as they are.

Mittwoch, 1. November 2023

The art of dying

Medieval art-of-dying books are notable today for their lack of interest in explaining the death medically; they make no attempt to avoid or delay it. The Moriens („the dying-one“) character never dies of anything. His time is simply up, and he is about to die. That is all we need to know. None of his friends ever suggests that he should concentrate on getting better or that he still has many happy years ahead of him. This is, of course, a prerequisite for being able to talk about your own death with honesty and in detail.

Sarah Tarlow: The archaeology of Loss