Mittwoch, 29. März 2023

Wenn die Welt aus den Fugen gerät

"Vom Umgang mit der Angst in unsicheren Zeiten" heisst der Untertitel dieses Buches, was die Frage nahelegt, ob es denn so etwas wie sichere Zeiten überhaupt gibt? Natürlich nicht. Der Autor, ein auf die Psyche spezialisierter Mediziner, bezieht sich in Wenn die Welt aus den Fugen gerät auf das durch die Corona-Pandemie verschärfte Gefühl der Unsicherheit: Nicht nur Lieferketten funktionierten nicht mehr, auch Familien und Freundschaften zerbrachen an Impffragen ... und und und. "All das hat dauerhafte Gräben aufgerissen, die nur mühsam oder schlimmstenfalls gar nicht mehr zuzuschütten sind." Im Gegensatz zum Autor finde ich diese Gräben nicht schlimm, sondern klärend und oft hilfreich, denn Beziehungen, die an oder wegen Corona zerbrachen, wären mit grösster Wahrscheinlichkeit an etwas anderem zerbrochen ... und möglicherweise wäre das auch ganz gut gewesen.

Ob die Unsicherheiten in den letzten Jahren zugenommen haben, weiss ich nicht, doch ganz gewiss ist unsere diesbezügliche Wahrnehmung grösser geworden. "Denn in einer nie da gewesenen Weise sind wir, wenn wir wollen, überall mit dabei. Nachrichten und Bilder von Katastrophen erreichen uns in Echtzeit, ganz gleich wo sie sich ereignen." Kurz und gut: Wir sind überfordert, haben Angst, mehr denn je.

Christian Firus macht in Wenn die Welt aus den Fugen gerät unter anderem deutlich, was das eigentlich ist, die Angst. "Angst macht eng", bringt er es sehr schön auf den Punkt, denn dieses Engegefühl, sich wie "zugeschnürt" zu fühlen, macht die Angst wesentlich aus. Dass es sinnvoller ist, sich der Angst zu stellen, anstatt ihr auszuweichen, versteht sich so recht eigentlich von selbst – vorausgesetzt, wir hören auf unseren Verstand und lassen uns nicht von unserem schnellen limbischen System, dem Sitz der Gefühle, überrumpeln.

Auch wenn ich dem psychotherapeutischen Ansatz, der in diesem Buch vertreten wird, skeptisch gegenüberstehe – so halte ich das Thematisieren von Allem und Jedem für eine typisch westliche 'Krankheit' (in Asien oder Afrika unbekannt) und "das Problematisieren" in erster Linie für ein Geschäftsmodell; finde die Vorstellung, Gefühle könnten verarbeitet und bewältigt werden, absurd (man kann höchstens versuchen, mit ihnen zu leben bzw. ihnen nicht zu grosse Bedeutung zu geben) – , habe ich die Lektüre als überaus hilfreich erlebt.

Das liegt an Sätzen wie "Obwohl es mit zunehmendem Alter immer mehr Gründe zum Klagen gäbe, trifft dies im statistischen Mittel genau nicht zu!" und "Wer auf die Habenseite schaut, setzt der Angst immer schon etwas entgegen", es liegt aber auch an der fundamentalen Einsicht, "dass unser Gehirn naturgemäss einem Konstruktionsfehler unterliegt, nämlich dem, zuallererst und rasend schnell das Negative und Problematische zu sehen." Das war, wie der Autor ausführt, zwar in der Evolutionsgeschichte wichtig, doch ist das moderne Leben eben nicht mehr den Gefahren von einst ausgesetzt.

Es gibt darüber hinaus noch einen anderen Konstruktionsfehler des Gehirns. Buddhisten haben darauf aufmerksam gemacht: Alles im Leben ist in ständiger Veränderung begriffen. Etwas Festes und Sicheres kann es demnach gar nicht geben. Trotzdem streben wir danach und schaffen uns dadurch die Art von Problemen, die wir dann wieder zu lösen versuchen. Was dabei helfen kann, zeigen die Ausführungen  "Freundschaft mit sich selbst schliessen" sowie "Teil von etwas Grösserem sein".

 Wenn die Welt aus den Fugen gerät zeichnet sich wesentlich dadurch aus, dass es reich an praktischen Vorschlägen und Anregungen ist. Das geht von 'Bewahren Sie Ruhe!' zu 'Achten Sie auf Ihre Körperhaltung!' (nichts, das schneller beeinflussbar ist) zu "Wenn wir voller Unruhe und Angst sind, sollten wir etwas Warmes trinken." Vor allem und ganz grundsätzlich hilfreich ist jedoch, sich mit der eigenen Endlichkeit auseinanderzusetzen, Dankbarkeit wie auch Freundlichkeit zu praktizieren sowie "Schönes zu entdecken, zu pflegen und zu kultivieren".

So sehr ich dieses Werk auch schätze, das Menschenbild, das ihm zugrunde liegt, teile ich nicht – es ist mir zu lieb, zu nett, zu wohlmeinend. Psychopathen, Idioten und Dummköpfe kommen darin nicht vor. Nichtsdestotrotz: Die Lektüre ist ausgesprochen lohnenswert, denn Christian Firus weiss in einfacher Sprache komplexe Vorgänge und Zusammenhänge zu vermitteln sowie uns klarzumachen, dass wir entscheiden können, in welche Richtung wir gehen – und das ist eine seltene Gabe.

Christian Firus
Wenn die Welt aus den Fugen gerät
Vom Umgang mit Angst in unsicheren  Zeiten
Patmos Verlag, Ostfildern 2023

Mittwoch, 22. März 2023

Über Gewissheiten

Die Wissenschaftler heutzutage, die wissen nicht nur, dass es einen Urknall gegeben haben muss, sondern sie wissen auch, wann er war und was zum Beispiel vier Tausendstel Sekunden nach dem Urknall passierte. Ich hab die spätabends im Fernsehen gesehen, und ich sage Ihnen, die konnten einen schon schwindlig reden. Dass alles, die ganze Welt, Sterne, Universum, alles, was Sie hier sehen, was Sie in den Händen gehalten haben und noch halten werden, Berge, Meere – dass alles vor Milliarden von Jahren nur in einem winzigen Punkt enthalten war, der zig Millionen Grad heiss war, Billionen von Tonnen wog und mit Lichtgeschwindigkeit auseinanderflog, wobei er sich beim Auseinanderfliegen auch noch sortierte ... Können Sie sich das vorstellen? Ich hab jedes Mal damit zu tun, mir das vorzustellen, aber diese Professoren, die reden da ganz locker drüber.

Thomas Brussig: Leben bis Männer

Mittwoch, 15. März 2023

Sortir de là ou on est

 

Ce n’est pas qu’il faut arriver à quelque chose, c’est qu’il faut sortir de là ou on est.

Marguerite Duras: L’Amant

Mittwoch, 8. März 2023

Thank you

This pic was not arranged but found and framed

I understand, I said to my friend Dale, that to be grateful is a good thing yet, frankly, I do not feel grateful at all. If you're not grateful then you deprive yourself of a lot of positive feelings, Dale retorted. I have no problem understanding that but I still do not feel grateful, I said. 

And then, I started thinking about it. And tried to identify something, some person, some event, I could be grateful for. It wasn't difficult at all: I was grateful for my parents, I was grateful for having fallen in love, 35 years ago, with a beautiful and desperate woman, I was grateful for experiencing this strange thing called life.  

"Get down on your knees in the morning when you get out of bed and say, 'Please.' Before you get into bed at night, get down on your knees again and say, 'Thank you.'", read a text by an anonymous recovering alcoholic.

Life seems like a dream, I said to my friend Takako on a warm Sunday evening in Santa Cruz do Sul, whereupon she quoted a Haiku that she had learned in school that said: Thank you for this delightful dream.

Mittwoch, 1. März 2023

Bozos on the Bus

I believe that we are all bozos on the bus, contrary to the self-assured image we work so hard to present to each other on a daily basis. We are all half-baked experiments-mistake-prone beings, born without an instruction book into a complex world. None of us are models of perfect behavior: We have all betrayed and been betrayed; we've been known to be egotistical, unreliable,lethargic, and stingy; and each one of us has, at times, awakened in the middle of the night worrying about everything from money to kids to terrorism to wrinkled skin and receding hairlines. In other words, we're all bozos on the bus.

This is cause for celebration. If we're all bozos then we can put down the burden of pretense and get on with being bozos. We can approach the problems that visit bozo-type beings without the usual embarrassment and resistance. It is so much more effective to work on our rough edges with a light and forgiving heart. Imagine how freeing it would be to take a more compassionate and comedic view of the human condition - not as a way to deny our defects-but as a way of welcoming them as part of the standard human operating system. Every single person on this bus called Earth hurts; it's when we have shame about our failings that hurt turns into suffering. In our shame, we feel an outcast, as if there is another bus somewhere, rolling along on a smooth road. Its passengers are all thin, healthy, happy, well-dressed and well-liked people who belong to harmonious families, hold jobs that never bore or aggravate them, and never do mean things, or goofy things like forget where they parked their car, lose their wallet, or say something totally inappropriate. We long to be on that bus with the other normal people.

But we are on the bus that says BOZO on the front, and we worry that we may be the only passenger on board. This is the illusion that so many of us labor under- that we're all alone in our weirdness and our uncertainty; that we may be the most lost person on the highway. Of course we don't always feel like this. Sometimes a wave of self-forgiveness washes over us, and suddenly we're connected to our fellow humans; suddenly we belong.

It is wonderful to take your place on the bus with the other bozos. It may be the first step to enlightenment to understand with all of your brain cells that the other bus - that sleek bus with the cool people who know where they are going - is also filled with bozos - bozos in drag; bozos with a secret. When we see clearly that every single human being, regardless of fame or fortune or age or brains or beauty, shares the same ordinary foibles, a strange thing happens. We begin to cheer up, to loosen up, and we become as buoyant as those people we imagined on the other bus. As we rumble along the potholed road, lost as ever, through the valleys and over the hills, we find ourselves among friends. We sit back, and enjoy the ride.