Scott Stossel, Redakteur von The
Atlantic, hat vor so ziemlich
allem Angst und so recht eigentlich gibt es nichts, das ihn nicht
beunruhigt. Aus heiterem Himmel überkommt ihn „tiefe existenzielle
Furcht“; er wird dann von „Übelkeit, Schwindel, Zittern und
einer breiten Palette weiterer körperlicher Symptome heimgesucht.“
Seine Phobien,
Neurosen und Ängste begannen bereits im zarten Alter von zwei; zum
ersten Mal in einer Nervenklinik untersucht wurde er mit zehn. Mit
diversen Methoden – darunter alle gängigen Therapien und
Medikamente sowie Bier, Wein, Gin, Bourbon, Wodka und Scotch – hat
er versucht, seine Angst zu überwinden. Mit fast gar keinem Erfolg.
Medikamente in Verbindung mit Alkohol wirkten am besten, doch nur auf
eine konkrete Situation bezogen. Gegen die Grundangst, die sein Leben
bestimmte, schien kein Kraut gewachsen.
Nun ist Angst
nichts Neues, die Debatte um ihre Ursache und Bekämpfung ist schon
Jahrtausende alt und spielt sich heute zwischen Psychopharmakologen
und Psychiatern einerseits und Psychologen andrerseits ab. Während
diejenigen, die Medikamente verschreiben dürfen (die
Psychopharmakologen und Psychiater) die Behandlung mit ebendiesen
befürworten, sind diejenigen, die das nicht dürfen (die
Psychologen) dagegen und machen sich für die kognitive
Verhaltenstherapie stark, die eine Korrektur der Wahrnehmung als
Mittel gegen die Angst propagiert.
Stossel tut beides:
er lässt sich über viele Jahre hinweg von Psychopharmakologen
diverseste Medikamente verschreiben und von kognitiven
Verhaltenstherapeuten beraten. Nicht von irgendwelchen, sondern von
den höchst angesehenen aus Harvard und Stanford. Eigenartigerweise
scheint ihm nicht aufzufallen, dass seine Ängste etwas mit seiner
Erwartungshaltung zu tun haben könnten: er selber hat an sich den
Anspruch perfekt zu sein, und an die anderen (Harvard, Stanford)
stellt er dieselben Ansprüche.
„Angst“ ist ein höchst
informatives Buch. Und eine riesige Fleissarbeit. Es ist
beeindruckend, was Scott Stossel alles zusammengetragen hat. Der
Untertitel der deutschen Ausgabe, „Wie
sie die Seele lähmt und wie man sich befreien kann“ ist jedoch
irreführend, denn dieses Buch gibt keine Anleitung, wie man sich von
der Angst befreien kann. Und die englische Originalausgabe „My Age
of Anxiety. Fear, Hope, Dread and the Search for Peace of Mind“
behauptet es auch gar nicht.
Clevere
Einsichten hat Scott Stossel zuhauf. Er weiss, dass seine Angst, die
oft unerträglich ist und ihn unglücklich macht, auch eine Gabe ist.
So erlaubt ihm etwa seine ängstliche Phantasie „unvorhergesehene
Entwicklungen oder unbeabsichtigte Folgen schon im Voraus stärker zu
berücksichtigen, als es ein weniger wachsames Naturell tun würde.“
Dazu kommt: „Dank der sozialen Fähigkeiten, die mit meiner
Leistungsangst einhergehen, kann ich ausserdem Situationen rasch
erfassen, Menschen anleiten und Konflikte entschärfen.“ Und nicht
zuletzt hält ihn seine Angst vielleicht auch am Leben. „Es ist
unwahrscheinlich, dass ich in der Ausübung einer Extremsportart ums
Leben komme oder einen Kampf provoziere, bei dem ich am Ende
erschossen werde ...“.
Der
mit einem von seinen Vorfahren geerbten pathologischen Genotyp
geschlagene Scott Stossel, der unter vielen körperlichen und
emotionalen Angstqualen leiden muss und auf Medikamente angewiesen
ist, ist wesentlich weniger schwach als er sich wahrnimmt. Dass und
wie er mit seiner Angststörung zurecht kommt, ist beeindruckend und Ausdruck grosser Stärke.
Scott Stossel
Angst
Wie sie die Seele lähmt und wie man
sich befreien kann
C.H.Beck, München 2014