"Grossartig und erschreckend ... der beste Roman über Alkoholismus, den ich je gelesen habe", soll Kingsley Amis über Charles Jacksons Das verlorene Wochenende gesagt haben. Mein bester ist er nicht – meiner ist James Freys A Million Little Pieces – doch ein guter, ja ein wirklich guter, das ist Das verlorene Wochenende schon.
Manhattan 1936, die Zeit der Weltwirtschaftskrise (The Great Depression). Der Schriftsteller Don Birman trinkt. Sein Bruder Wick sorgt sich um ihn, versucht erfolglos, ihn zu einem langen Wochenende auf dem Land zu überreden, doch Don zieht lieber durch die Bars, wo er auch einmal auf einen Mann trifft, der an derselben Uni studiert hat und die selben Leute kennt – er ist nüchtern, als er bei dieser Unterhaltung erfährt, wie er ein unangenehmes Vorkommnis in seiner Vergangenheit verdrängt hat ... und geht dann schnurstracks nach Hause, um sich zu betrinken. Beeindruckend, wie gekonnt Charles Jackson diese Szene schildert, Dons Anspannung ist fast mit Händen zu greifen.
Überaus überzeugend ist auch die Schilderung des Morgens danach. Der Mix von Selbstvorwürfen, Unsicherheit, Unruhe und Angst, die einen Hangover charakterisieren, fasst Jackson in Sätze, die eindrücklich klarmachen, was ein Alkoholiker für einen Preis für sein Saufen zu bezahlen hat. "An der 56sten blieb er am Fussgängerüberweg stehen. Er war so nervös, dass er seinen Sinnen nicht traute. Ängstlich blickte er wieder und wieder zur Ampel, bevor er den sicheren Bordstein verliess, und selbst dann war ihm noch bang ... Wie oft war er an Vormittagen wie diesem ... an denen er wirklich nicht wusste, ob er beim nächsten Schritt ohnmächtig werden würde ... Vormittagen grotesker, unerklärlicher Panik davor, dass jemand in einem Moment der Unaufmerksamkeit seinen Blick auffangen und ihm direkt in die Augen schauen würde ...".
Er landet in der Klinik, auf der Alkoholstation, hat keine Ahnung, wie er dahin gekommen ist. Er hat eine Schädelfraktur und wird Zeuge, wie Mitpatienten auf die einfachsten Fragen der Ärzte keine Antwort wissen. Der Schock darüber hält nicht lange an, er säuft weiter ...
Manhattan 1936, die Zeit der Weltwirtschaftskrise (The Great Depression). Der Schriftsteller Don Birman trinkt. Sein Bruder Wick sorgt sich um ihn, versucht erfolglos, ihn zu einem langen Wochenende auf dem Land zu überreden, doch Don zieht lieber durch die Bars, wo er auch einmal auf einen Mann trifft, der an derselben Uni studiert hat und die selben Leute kennt – er ist nüchtern, als er bei dieser Unterhaltung erfährt, wie er ein unangenehmes Vorkommnis in seiner Vergangenheit verdrängt hat ... und geht dann schnurstracks nach Hause, um sich zu betrinken. Beeindruckend, wie gekonnt Charles Jackson diese Szene schildert, Dons Anspannung ist fast mit Händen zu greifen.
Überaus überzeugend ist auch die Schilderung des Morgens danach. Der Mix von Selbstvorwürfen, Unsicherheit, Unruhe und Angst, die einen Hangover charakterisieren, fasst Jackson in Sätze, die eindrücklich klarmachen, was ein Alkoholiker für einen Preis für sein Saufen zu bezahlen hat. "An der 56sten blieb er am Fussgängerüberweg stehen. Er war so nervös, dass er seinen Sinnen nicht traute. Ängstlich blickte er wieder und wieder zur Ampel, bevor er den sicheren Bordstein verliess, und selbst dann war ihm noch bang ... Wie oft war er an Vormittagen wie diesem ... an denen er wirklich nicht wusste, ob er beim nächsten Schritt ohnmächtig werden würde ... Vormittagen grotesker, unerklärlicher Panik davor, dass jemand in einem Moment der Unaufmerksamkeit seinen Blick auffangen und ihm direkt in die Augen schauen würde ...".
Er landet in der Klinik, auf der Alkoholstation, hat keine Ahnung, wie er dahin gekommen ist. Er hat eine Schädelfraktur und wird Zeuge, wie Mitpatienten auf die einfachsten Fragen der Ärzte keine Antwort wissen. Der Schock darüber hält nicht lange an, er säuft weiter ...
Charles Jackson soll es wichtig gewesen sein, grosse Literatur und nicht etwa nur ein gutes Buch übers Saufen geschrieben zu haben. Ich weiss nicht wirklich, ob ein Buch grosse Literatur ist oder nicht – , klar, bei einigen spüre ich das, etwa bei Goethes Wahlverwandtschaften oder bei einigen Erzählungen von Alice Munro – , doch mich beschäftigt das eigentlich auch nicht sehr. Ein gut geschriebenes Buch ist Das verlorene Wochenende allemal. Und eines, das unter anderem klar macht, was einen Alkoholiker von einem Normalo unterscheidet: "... empfand er tiefe und hochmütige Verachtung für diejenigen, die Alkohol am Morgen danach verschmähten, denen sich, von der Ausschweifung der Nacht noch durchgeschüttelt, schon beim blossen Gedanken daran der Magen umdrehte."
Der 1903 in Summit, New Jersey, geborene Charles Jackson war selber Alkoholiker. Er weiss also, wovon er schreibt. Und das merkt man, auch wenn sich gelegentlich Denkfehler einschleichen. "Er trank nicht, weil er durstig war, und auch nicht, weil es ihm schmeckte (Whisky war im Grunde genommen scheusslich, er stürzte ihn immer möglichst schnell herunter): Er trank wegen der Wirkung, die es auf ihn hatte." Die Klammer-Bemerkung suggeriert, dass er den Whisky schnell herunter stürzt, weil er den Geschmack nicht mag. Eine typische Alkoholiker-Rationalisierung, denn der Geschmack ist einem Alki sowieso egal. Es ist eher so: Er stürzt den Whisky schnell herunter, weil so die gewünschte Wirkung schneller eintritt!
Aus dem Nachwort von Rainer Moritz erfahre ich, dass sich Jackson eine Zeitlang den Anonymen Alkoholikern angeschlossen hatte "und war auf deren Zusammenkünften ein gefragter Redner, was nicht zuletzt am Erfolg seines Trinkerromans Das verlorene Wochenende lag, der auch auf eigenen leidvollen Erfahrungen beruhte." Man darf aus diesen Worten schliessen, dass Rainer Moritz noch nie an einer solchen Zusammenkunft war, denn da reden ausschliesslich Leute, die selber leidvolle Erfahrungen gemacht haben. Stars sind da verpönt.
Moritz weist auch darauf hin, dass Jackson sich gewehrt habe, primär als Suchtexperte wahrgenommen zu werden: "Ich bin zuallererst Schriftsteller und erst dann Nichttrinker." Nun ja, Nichttrinker war er offenbar nicht gerade häufig, denn Rückfälle in die Sucht seien an der Tagesordnung gewesen, so Moritz. Ich selber sehe Jackson als Trinker, der schreibt, der sehr gut schreibt, so wie es ein Nichttrinker gar nicht könnte, weil ihm ganz spezifische Erfahrungen fehlen: "Er hätte nicht geschickter und vorsichtiger, nicht mehr Herr seiner kleinsten Bewegung sein können – dazu war nur der Betrunkene fähig, der gerade betrunken genug ist, um genau zu wissen, was er tut, mit einer Klarheit, die dem Nüchternen versagt ist. Oh, und es zugleich auch nicht zu wissen. Das war das Demütigende und Gefährliche daran. Betrunken genug, um zu wissen, was er tat, aber nicht, was die anderen taten."
Charles Jackson
Das verlorene Wochenende
Dörlemann Verlag, Zürich 2014
Der 1903 in Summit, New Jersey, geborene Charles Jackson war selber Alkoholiker. Er weiss also, wovon er schreibt. Und das merkt man, auch wenn sich gelegentlich Denkfehler einschleichen. "Er trank nicht, weil er durstig war, und auch nicht, weil es ihm schmeckte (Whisky war im Grunde genommen scheusslich, er stürzte ihn immer möglichst schnell herunter): Er trank wegen der Wirkung, die es auf ihn hatte." Die Klammer-Bemerkung suggeriert, dass er den Whisky schnell herunter stürzt, weil er den Geschmack nicht mag. Eine typische Alkoholiker-Rationalisierung, denn der Geschmack ist einem Alki sowieso egal. Es ist eher so: Er stürzt den Whisky schnell herunter, weil so die gewünschte Wirkung schneller eintritt!
Aus dem Nachwort von Rainer Moritz erfahre ich, dass sich Jackson eine Zeitlang den Anonymen Alkoholikern angeschlossen hatte "und war auf deren Zusammenkünften ein gefragter Redner, was nicht zuletzt am Erfolg seines Trinkerromans Das verlorene Wochenende lag, der auch auf eigenen leidvollen Erfahrungen beruhte." Man darf aus diesen Worten schliessen, dass Rainer Moritz noch nie an einer solchen Zusammenkunft war, denn da reden ausschliesslich Leute, die selber leidvolle Erfahrungen gemacht haben. Stars sind da verpönt.
Moritz weist auch darauf hin, dass Jackson sich gewehrt habe, primär als Suchtexperte wahrgenommen zu werden: "Ich bin zuallererst Schriftsteller und erst dann Nichttrinker." Nun ja, Nichttrinker war er offenbar nicht gerade häufig, denn Rückfälle in die Sucht seien an der Tagesordnung gewesen, so Moritz. Ich selber sehe Jackson als Trinker, der schreibt, der sehr gut schreibt, so wie es ein Nichttrinker gar nicht könnte, weil ihm ganz spezifische Erfahrungen fehlen: "Er hätte nicht geschickter und vorsichtiger, nicht mehr Herr seiner kleinsten Bewegung sein können – dazu war nur der Betrunkene fähig, der gerade betrunken genug ist, um genau zu wissen, was er tut, mit einer Klarheit, die dem Nüchternen versagt ist. Oh, und es zugleich auch nicht zu wissen. Das war das Demütigende und Gefährliche daran. Betrunken genug, um zu wissen, was er tat, aber nicht, was die anderen taten."
Charles Jackson
Das verlorene Wochenende
Dörlemann Verlag, Zürich 2014