Mittwoch, 20. November 2024

Verhaltenssüchte personenzentriert verstehen und behandeln

Was beim Einen funktioniert, kann bei der Anderen fehlschlagen. Was dem einen guttut, führt bei der Anderen ins Desaster. Das wissen wir. Und so gehen wir-in der Folge davon aus, dass das eigene Problem ein ganz spezielles sei und stellen uns vor, dass es eine auf uns abgestimmte Therapie geben müsste, die den spezifischen Eigenheiten unserer Person Rechnung trägt. Ob der personzentrierte Ansatz genau dies meint, weiss ich nicht, denn er wird in diesem Buch nicht erklärt, vielleicht habe ich es aber auch überlesen. Im Internet erfuhr ich  dann, dass der personzentrierte Ansatz den Menschen in den Mittelpunkt stelle und auf seine Fähigkeiten vertraue, sich selbst zu entwickeln. Mir gefällt dieser Ansatz, der meinem Ego schmeichelt. Für mich (ich habe eine Suchtpersönlichkeit auf meinen Lebensweg mitbekommen – Nein, nicht von meinen Eltern) ist das der falsche Ansatz, das weiss ich bereits nach einem Blick ins Inhaltsverzeichnis, wo Themen wie "Sucht und Migration", "Sucht und Traumatisierung" wie "Sucht und Männlichkeit" aufgeführt sind, denn mein Ego sollte nicht gehätschelt werden, ganz im Gegenteil. Klar doch, für andere mag das funktionieren.

Was meines Erachtens für dieses Buch spricht, ist sein Verständnis von Sucht, das erfreulicherweise nicht auf Substanzabhängigkeit beschränkt ist, sondern Glückspielsucht, Gaming, Streaming, Surfen im Internet. Sexsucht und Kaufsucht als Süchte begreift. Ich selber gehe noch viel weiter: Für mich ist Sucht dadurch definiert, dass man nicht fühlen will, was man fühlt. Und das meint: Man kann nicht bei sich verweilen, rennt dauernd davon. Zum Teil ist das biologisch bedingt (unser Gehirn ist antizipatorisch angelegt); zum Teil leben wir in einer Suchtgesellschaft, in der nichts jemals genug ist, sondern immer mehr und anderes gewollt werden soll. So ist der Kapitalismus.

Der Autor dieses Werkes leitet die Ambulante Suchthilfe Bethel in Bielefeld und erläutert sein Vorgehen an vielen Beispielen aus der Praxis. Diese Fallstudien sind höchst aufschlussreich. Etwa über die Therapie von Menschen mit Migrationshintergrund, die von ihren Familien häufig mit folgenden Aussagen konfrontiert werden: Hör doch einfach auf. Verliere niemals dein Gesicht. Bring keine Schande nach Hause. Probleme sind privat (und werden in der Familie gelöst). Erfülle die Rolle als Mann. Denk an Stolz und Ehre.

Nun ja, Solches hören auch viele Menschen ohne Migrationshintergrund. So könnten alle diese Aussagen auch locker von Asiaten (von China über Thailand bis Indonesien; ich habe selber einige Jahre in Asien zugebracht) stammen. Zudem: Dass muslimische Migranten die Glücksspielsucht häufig nicht als Krankheit akzeptieren und vom Therapeuten erwarten, dass er ein Rezept dagegen hat, ist auch in Europa und Amerika eine gängige Auffassung. Anstatt den Unterschieden (Frauen, Männer, Kultur, soziale Stellung etc.) Rechnung zu tragen, scheint mir sinnvoller, Gemeinsamkeiten zu betonen, denn so speziell wie wir meinen, sind wir alle nicht. 

Der personzentrierte Ansatz geht jedoch einen anderen Weg, bei dem der Therapeut einen behutsamen, verständnisvollen Ansatz pflegt. Das zeigt sich sehr schön in den Gesprächen in diesem Buch, die überaus aufschlussreich sind. Ja, so recht eigentlich lohnt sich die Lektüre allein dieser Gespräche wegen, weil sich darin zeigt, wie der Therapeut denkt. Und auch: Wovon er ausgeht: Dass die Erfahrungen der ersten Lebensjahre prägend sind, dass Schuld und Schamgefühle bearbeitet gehören, dass der Veränderungswunsch gestärkt werden soll usw.  So ist das gängige Denken der heutigen Zeit.

Der Therapeut hört zu, bestätigt, fasst zusammen, wiederholt in seinen Worten, was der Patient/Klient sagt. Dass der Patient/Klient so einsichtsvoll rüberkommt, hat natürlich wesentlich damit zu tun, dass da eine Grundbereitschaft zur Veränderung da zu sein scheint. Vieles an dem, was der Therapeut beiträgt, mag einem banal vorkommen. Das ist es auch – und liegt daran, dass es das auch ist. Dass eine Therapie gelingen kann, liegt nicht am Fachwissen des Therapeuten, sondern an seiner Fähigkeit, präsent zu sein, als ruhiger, unaufgeregter, verständnisvoller Pol.

Der Therapeut in diesen Gesprächen ist ausgesprochen einfühlsam, kontrolliert und sehr rational. Erstaunlich finde ich, wie rational zugänglich und einsichtsvoll sich die Patienten/Klienten zeigen. Zugegeben: Mich verblüfft die Vorstellung generell, dass Einsichten zu Verhaltensänderungen führen können, doch die angeführten Beispiele sind allesamt Erfolgsgeschichten

Frank Gauls
Verhaltenssüchte personzentriert verstehen und behandeln
Ernst Reinhardt Verlag, München 2024

Mittwoch, 13. November 2024

Glücklich ohne Alkohol

"Ein Guide für Frauen" heisst es auf dem Umschlag der deutschen Aufgabe, bei der englischen Ausgabe, die übrigens Not Drinking Tonight heisst, fehlt der Hinweis. Mit anderen Worten: Der Titel der deutschen Ausgabe ist irreführend und allein dem Marketing geschuldet, denn ob ein Mann oder eine Frau süchtig ist, ist der Sucht egal – sie macht solche Unterscheidungen nicht.

Im Feld der Sucht (ich unterscheide nicht zwischen Alkoholismus, Drogensucht, Gaming, oder Handysucht) gibt es viele, ganz unterschiedliche Ansätze. Was beim einen wirkt, hat bei der anderen keine Chance. Und so ist natürlich auch durchaus möglich, dass bei einigen Frauen eine Therapeutin mehr bewirken kann als ein Therapeut. Das Gegenteil stimmt aber eben auch.

Auch mit den Anonymen Alkoholikern hat Amanda E. White Erfahrungen gemacht. "Diese Gruppe wurde zu meinem Unterstützungssystem, meinem Rettungsanker und machte mein Sozialleben aus. Einige meiner besten Freunde habe ich auf diesem Treffen kennengelernt."  Sie findet einen Grossteil des Programms moralgetränkt, zudem könne die Starrheit des Programms Scham hervorrufen. Ich teile diese Auffassung nicht, finde im Gegenteil, dass Moral und Scham heutzutage leider fast ausschliesslich negativ besetzt oder kein Thema sind, weshalb denn auch gerade ein Mann ohne jegliche Moral zum amerikanischen Präsidenten gewählt wurde.

"Für mich besteht Schadensbegrenzung an erster Stelle. Es gibt so viele Menschen, die es nicht geschafft haben, abstinent zu werden, und sich dafür zutiefst schämten. In diesem Falle empfehle ich Ihnen, sich einen zugelassenen Therapeuten zu suchen." Die Autorin klingt, als ob Scham zu empfinden, ganz furchtbar sei. Sicher, das ist möglich, doch Scham kann auch ein exzellenter Motivator sein. Ob da zugelassene (d.h. diejenigen, die gemäss den gängigen Schulmodellen praktizieren) Therapeuten helfen können? Falls ja, dann meist trotz der standardisierten Ausbildung.

Amanda E. White ist lizenzierte Therapeutin, kennt Alkoholabhängigkeit aus eigener Erfahrung und will mit diesem Buch umfassend über Alkohol aufklären. Sie tut dies unter anderem anhand von Gesprächen mit einer 24jährigen Peruanerin, einer 21jährigen Weissen und einer 34jährigen Schwarzen. Vor allem kennzeichnend für diesen Ratgeber sind die vielen praktischen Anleitungen

"Im ersten Teil, Warum Sie trinken, erfahren Sie mehr über Ihre Psyche und darüber, wie Scham und Traumata mit Ihrem Alkoholkonsum verwoben sind." Nun ja, kein Mensch weiss, weshalb jemand wirklich trinkt. Dazu kommt, dass unsere Erklärungsmodelle mehr über unser Denken aussagen als darüber, was sie zu erklären glauben.

Zu den Erklärungsmodellen von Amanda E. White gehört die Evolution. Fressen oder gefressen werden, so funktioniert Evolution. Überlebt haben dabei die, so die Autorin, die vorsichtig gewesen sind. Unsere Vorfahren lebten in Kleingruppen, in denen es wichtig war, was andere über einen denken. Gut möglich, doch woher wollen wir das wissen? "Allerdings  interessieren uns gemäss unserer evolutionären Entwicklung nur die Meinung von Menschen, die uns sehr gut kennen, und das sind maximal 150 Personen." 150 Personen, die uns sehr gut kennen? Das hat offenbar ein Professor aus Oxford herausgefunden. Nun ja, ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich selber 150 Personen auch nur entfernt kenne ....

Die Ausführungen zur Scham (unter der die Autorin sehr gelitten hat) und zum Trauma sind nachvollziehbar, doch fehlt es an der Evidenz, denn wie alle Gefühlszustände sind sie nicht wirklich fassbar. Es handelt sich um Zuschreibungen. Auch die Vorstellung, man müsse über Verstecktes sprechen können, ist nicht viel mehr als ein Glaube. Wer daran glaubt, dem kann es helfen. Darüber hinaus ist das Darüber-Sprechen das Business-Modell der Therapeuten. Kein Wunder blüht in Asien das Therapie-Geschäft nicht, denn Asiaten verstehen nicht, weshalb man über alles sprechen sollte.

Fazit: Eine sachliche, gut aufgebaute Zusammenfassung der derzeit gängigen Überzeugungen in Sachen Umgang mit Alkohol.

Amanda E. White
Glücklich ohne Alkohol
Ein Guide für Frauen
Knaur Menssana, München 2024

Mittwoch, 6. November 2024

Von der Hoffnung, meiner Feindin

 Ich habe nur einen Feind: die Hoffnung.

Ständig sagt sie mir, alles werde nicht nur gut, sondern noch besser werden; immerzu treibt sie mich an, nie lässt sie mich sein, wo und wie ich bin.

Was wäre der Mensch ohne Hoffnung? habe ich einmal gelesen. Nicht nur Hemingway hat sich dies gefragt, doch ihm, als Alkoholiker (wenn, was wir über ihn gelesen, der Wahrheit entspricht), war die Hoffnung wohl überlebensnotwendiger als anderen, die vielleicht etwas weniger leiden und deshalb dieser tröstenden Vorstellung, dass alles, in der Zukunft, der fernen, eigentlich immer nur besser werden kann, nicht so stark bedürfen.

Wer in der Gegenwart lebt, bedarf der Hoffnung nicht. Vorausgesetzt natürlich, er (oder sie – die künftig immer mit gemeint werden soll) lebt gerne in dieser Gegenwart. Ein solcher muss nicht vertröstet werden, ein solcher schätzt, was er hat.

***

Der Mensch ist grundsätzlich unzufrieden angelegt, und deswegen ein sehnsüchtiges Wesen. Um mit Wilhelm Busch zu reden: was er hat, das will er nicht, und was er will, das hat er nicht. Und deshalb braucht er die Hoffnung, dass er eines (meist fernen) Tages (vielleicht aber auch erst im Himmel), haben wird, was er jetzt schon will (und dann möglicherweise nicht mehr haben möchte – doch das wäre eine andere Geschichte).

Ständig also hofft der Mensch auf bessere Zeiten. Diesen Vorgang bezeichnet man auch als warten. Dem Spanisch sprechenden Latino ist das eh dasselbe, für ihn bedeuten sowohl hoffen als auch warten esperar, was uns zum Schluss zwingt, dass wenn der Latino hofft, er zur gleichen Zeit auch wartet, und wenn er wartet, er ganz offenbar sogleich hofft. So richtig unmittelbar eingeleuchtet hat mir das, als ich letzthin auf den Bus wartete und dabei hoffte, dass er auch käme.

Für die Latinos ist also der Fall gelöst: sie haben absolut Null-Chance, jemals in der Gegenwart leben zu können. Und scheinen auch gar kein Problem damit zu haben, man denke nur an ihr andauerndes mañana. Oder meint das vielleicht das Gegenteil? Dass also das Heute das Wichtige und alles andere bis morgen warten könne?

Wir andern aber, die wir so gewiss sind, dass wir im Hier und Jetzt leben sollten (möglichst entspannt natürlich), wir haben ein Problem damit, dass wir, so sehr wir es auch wollen, es einfach nicht können.

Wo ein Wille, da kein Weg, sagt uns dazu der Psychologe von heute, und wir glauben zu ahnen, dass da was dran sein könnte, nur haben wir nicht den leisesten Schimmer, wie wir das jetzt praktisch umsetzen sollten. Im Gegensatz zum Psychologen – der fordert für solche Weisheiten Honorar.

Wir trotten also weiterhin ratlos durch die Gegend, wobei wir von Zeit zu Zeit auf Leute treffen, die behaupten, im Grunde sei alles ganz einfach, man müsse nur in der Gegenwart leben. Es sind dies in der Regel Menschen, die den Anblick in Blüte stehender Blumen unweigerlich mit Begeisterungsschreien kommentieren. Ich gestehe, mir ist ein solches Naturell nicht gegeben, und ich bin mir auch gar nicht so sicher, ob ich wünschte, mir wäre ein solches mitgegeben worden. Und wenn ich schon beim Gestehen bin: mir ist von den mir bekannten drei Zeitzonen – der Vergangenheit, der Gegenwart, der Zukunft – die Gegenwart am wenigsten lieb. Nicht dass ich das gut finde, doch es ist so.

In einer Kultur gross geworden, die dem Sollen, dem Müssen, eine Prominenz zuweist, die einen in Null-Komma-Nix die Flucht in den Buddhismus antreten lässt, reagiere ich auf Aufforderungen, die mit „Du musst nur“ anfangen, automatisch mit Verweigerung und fühle mich dann fast augenblicklich auf eine mir nicht so recht erklärliche Art schuldig.

Doch so eine Sollens-Kultur bringt es eben auch mit sich, dass man immer weiss, dass die Dinge nicht so sind, wie sie sein sollten. Und darauf hofft, wenn man denn das Seinige zu tun bereit ist, dass die Dinge eines Tages so sein könnten, wie sie eigentlich sein sollten.


Sisyphus scheint davon nicht sonderlich überzeugt gewesen zu sein. Der konzentrierte sich darauf, den Stein den Hügel hinauf zu rollen. Und tat das und nur das und sonst gar nichts. Camus soll gesagt haben, man müsse sich Sisyphus als glücklichen Menschen vorstellen. Obwohl mir der Gedanke sympathisch ist, habe ich mir bisher Fliessbandarbeiter nicht als fröhliche Menschen vorgestellt, aber ich bin ja auch kein anerkannter Philosoph.

Lasst alle Hoffnung fahren! hatte ich ja eigentlich immer als Drohung interpretiert. Wenn dem nun aber gar nicht so wäre, wenn das in Wirklichkeit eine Aufforderung wäre, sich der Realität, also dem, was ist, zu stellen? Und einfach zu tun, was zu tun ist, und sich darüber keine weiteren Gedanken zu machen?

Ich weiss nicht so recht. Es klingt mir doch ein bisserl arg nach „glücklich, wer nicht denkt“, und dazu mag ich mich eigentlich nicht äussern, schon deshalb nicht, weil es, das weiss jeder, eindeutig was für sich hat, doch eben genauso eindeutig ziemlicher Humbug ist. Schliesslich ist einer, der denkt, deswegen nicht schon gleich unglücklich.

Und überhaupt, so sagt man, zeichne das Denken den Menschen doch aus.

***

Es gehe darum, den Wald voller Affen im Kopf zur Ruhe zu bringen, sagt der buddhistische Mönch im Hauptsitz des „World Fellowship of Buddhists“ in Bangkok. Wir sollten den Atem beobachten, ihm einfach folgen, konstatieren, was passiere. Wenn Gedanken uns ablenkten, sie weder verscheuchen, noch ihnen nachgeben, sondern sich sagen, aha, ein Gedanke, und dann wieder zum Atem zurückkehren.

Ein Mann (der sei früher Professor in Berkeley gewesen, raunt mir mein Nachbar zu) meldet sich: er habe das schon oft geübt, doch nach zwei, drei Minuten sei er regelmässig weg von seinem Atem und voll in Gedanken.
Der Mönch lacht. Das sei normal. Er solle einfach weiter üben.

Mir geht es so wie diesem Mann: ganz schnell bin ich wieder bei meinen Gedanken (und sie bei mir). Das ist vertrautes Territorium. Und überhaupt finde ich meinen Atem zu beobachten ganz und gar nicht attraktiv.

Wir üben jetzt eine halbe Stunde lang Meditation im Gehen, sagt der Mönch. Stehen Sie gerade, fassen Sie den Punkt am Ende der Halle, wo Sie hinwollen, ins Auge. Und jetzt konzentrieren Sie sich auf Ihre Füsse: wie sie auf den Boden treffen, abrollen, sich heben.
Diesmal geht’s, diesmal spüre ich das Heben, Senken, Auftreffen, Abrollen der Füsse, die Vorwärtsbewegung des Körpers, und ohne dass mich Gedanken sofort wieder wegholen. Diesmal brauche ich nicht zu hoffen, diesmal bin ich ganz einfach – und tue, was ich tue.

Mittwoch, 30. Oktober 2024

It is by self-forgetting ... that one finds

"Lord make me a channel of Thy Peace, That where there is hatred ... I may bring love, That where there is wrong ... I may bring the spirit of forgiveness, That where there is discord ... I may bring harmony, That where there is error ... I may bring truth, That where there is doubt ... I may bring faith, That where there is despair ... I may bring hope, That where there are shadows ... I may bring light, That where there is sadness ... I may bring joy.

Lord, grant that I may seek rather to comfort ... than to be comforted, To understand ... .than to be understood, To love ... than to be loved.

For ... it is by self-forgetting ... that one finds, It is by forgiving ... that one is forgiven, It is by dying ... that one awakens to Eternal Life."

Saint Francis of Assisi

Mittwoch, 23. Oktober 2024

Never enough

 One of the phenomena that doesn't cease to baffle me is the desire to always want more, that nothing does seem to be enough, never. The point is: I simply do not get it. Differently put: I know it but knowledge or mental insight does not help for it is (go figure!) not enough. What is needed in order to understand is action, to act my way into a new way of thinking.

For instance, I cannot get enough of books that promise me a good time as well as insights. Despite what public relations departments of publishing companies and reviews in renowned media suggest. I'm regularly disappointed for most new releases rarely offer anything new. In fact, most of non-fiction works start with the ancient Greeks and pretend that, despite lots of evidence to the contrary, we can learn from the past.

Most recently, I started to leaf through unread books that sit quite comfortably on my shelves. And, to my surprise, I've discovered that I had missed out on works that did not only intellegently entertain me but also provided me with useful insights. It couldn't have been more obvious that I already had what I thought that I needed to have. 

How come then that I still couldn't control my compulsion for new books? Because my mind is wired in such a way that it always looks ahead. Well, can I not change that? Sure, by acting differently. For what I truly understand lies in my actions. How I really (albeit unconsciously) think is revealed by my actions.

Mittwoch, 16. Oktober 2024

Mein weiser Narr

Im Februar 1986 erstand ich mir (zu der Zeit schrieb ich immer in die Bücher rein, wann ich sie gekauft hatte) Jacqueline C. Lairs und Walther H. Lechlers "Von mir aus nennt es Wahnsinn: Protokoll einer Heilung". Lair, die in Bozeman, Montana, lebt, hatte Alkoholprobleme und war medikamentenabhängig und suchte Hilfe beim Mediziner Walther H. Lechler in Bad Herrenalb im Schwarzwald. "Ich kann einfach keinen Grund sehen, weshalb ich lebe", schreibt sie und lernt bei Lechler, "dass man alles über Bord werfen muss, um das zu finden, was man braucht." Es ist ein Buch, das zu meinen intensivsten Leseerfahrungen überhaupt gehört.

Im Santiago Verlag sind nun unter dem Titel "Mein weiser Narr" Lairs "Nachgedanken an eine Therapie" erschienen. Es ist ein gelungener Text, weil er einen zum Nachdenken über Dinge bringt, die man in der Regel einfach zur Seite schiebt. Über Wut, zum Beispiel, die es, so der weise Narr Lechler, zu akzeptieren gilt: "... nimm einfach diese gewaltige Energie wahr, die sie auslöst ... man muss lernen, diese Energie und die innere Unruhe, die sie mit sich bringt, auf konstruktive Art und Weise auszudrücken, das ist alles."

Das Aussergewöhnliche an diesem Buch liegt darin, dass man erfährt, wie Lechler zu seinen Einsichten und Überzeugungen gekommen ist: er erzählt von Privatem und Schwierigem und lässt damit den Leser an seinem Leben teilhaben. "Ich war wütend auf das Leben, auf viele Menschen und überhaupt auf diese ganzen Lebensumstände. Ich war wütend, dass ich überhaupt geboren worden bin und deshalb eines Tages sterben muss. Ich fand das einfach unfair! Ich war auch wütend, weil meine Mutter so früh starb, also ich noch so klein war ... Auch heutzutage bin ich immer noch auf mich selbst wütend, wenn ich an alle die Versuche denke, meine innere Wut zu verleugnen und zu verdrängen, nur weil ich soviel Angst vor dieser Wut hatte ...".
Schon mal von einem Arzt oder Therapeuten derart Persönliches gehört? Ich nicht. Doch wozu soll das gut sein? Weil viele Alkoholiker und Drogenabhängige erst dann bereit sind, zuzuhören, wenn sie merken, dass da einer weiss, wovon er spricht. Aus eigener Erfahrung, nicht nur aus Büchern. Das meint nicht, dass man Alkoholiker sein muss, um Alkoholikern helfen zu können (Veterinäre wären sonst arbeitslos), das meint, dass Klienten/Patienten spüren müssen, dass emotionale Identifikation (einer der Schlüssel für eine Genesung) möglich ist.

"Den Weg über die Wiederentdeckung der Gefühle hielt sie (Jaqueline Lair) für zu einfach, für zu simpel, zu närrisch", liest man auf dem Schutzumschlag. In Gesprächen mit Lechler erfährt sie dann, dass dieser dem Intellekt, der meist als Instrument des Rationalisierens eingesetzt wird, skeptisch gegenüber steht: "... mehr als alles andere habe ich gelernt, intellektuellem Wissen, das gleichzeitig gefühllos ist, zu misstrauen", denn "all' dieses Verstehen und all' dieses Wissen haben mir nie meinen eigenen emotionellen Schmerz genommen. Die einzige Hilfe für mich war, diese verdammte, negative Art und Weise zu verändern, wie ich über mich selbst dachte. Und selbst das war nicht die ganz grosse Hilfe, wenn ich ehrlich sein soll. Was mir noch am ehesten geholfen hat, mich wohl zu fühlen, ist das simple Akzeptieren aller Höhen und Tiefen, die mein Leben so mit sich gebracht hat. Ich bin wie das Wetter da draussen, wie die Natur. Ich gehe durch meine Jahreszeiten und wenn ich einfach akzeptiere, welche Jahreszeit da gerade auf meinem Herzen liegt, dann kann ich mich damit abfinden und mich damit arrangieren. Ich musste lernen, den Versuch aufzugeben, aus einem grauen Wintertag ein Sommererlebnis zu machen - und zulassen und aushalten lernen, dass das manchmal wehtut."
Ich finde dies eine ganz wunderbare und hilfreiche Maxime, nicht nur für Alkoholiker, Drogenabhängie oder Depressive, sondern so recht eigentlich für alle.

Akzeptieren ist das Eine, Handeln das Andere und im Gegensatz zu den Therapien, die auf eine Verhaltensänderung durch Einsicht hoffen, schlägt Lechler den klassischen 12-Schritte-Grundsatz vor, dass richtiges Handeln zum richtigen Denken führen wird: "Du musst lernen, 'so zu tun als ob' - so zu tun, als ob du bereits wüsstest, wie man ein liebevolles Leben lebt, selbst, wenn du noch gar nicht daran glaubst. Denn irgendwann wird dieses Verhalten ein Teil von dir und dann kannst du wieder in vollem Umfang zu deinem Nutzen an der menschlichen Gemeinschaft teilhaben." Auch wenn ich vorbehaltslos zustimme, sprachlich (es handelt sich um eine Übersetzung) ist das schon ziemlich hölzern.

Was es auch noch braucht, um zu gesunden? Den Mut aufzubringen, gegen unsere Hauptsorge "Was sollen denn die Leute denken?" anzugehen. In Lechlers Worten: "Diese Spielregel hat mehr Menschen in einen Tiefschlaf versetzt und mehr Beziehungen ruiniert, als jede andere, die ich kenne."

Übrigens: "Von mir aus nennt es Wahnsinn" ist ebenfalls beim Santiago Verlag erhältlich.

Santiago Verlag
Joachim Duderstadt e.K.
Asperheide 88
D-47574 Goch
http://santiagoverlag.de

Sonntag, 13. Oktober 2024

Das Jetzt ist nicht zu fassen

Unterwegs in fremden Ländern machte Hans Durrer die Erfahrung, dass das Unspektakuläre, das Alltägliche, das sogenannt Banale ihn anzog. In einer ihm unvertrauten Umgebung erlebte er Cafés, Buchhandlungen, Fotogalerien oder Blumen am Strassenrand als verblüffend exotisch. Und er erlebte, dass zufällige Begegnungen, ein Blick, ein Satz ihn oft länger begleiteten als sogenannt Wichtiges, das man sich merken will (und meist gleich wieder vergisst). Davon, was alles so neben- und miteinander geschieht, handeln die hier vorliegenden Texte.

Diese Geschichten, Eindrücke, Notizen, Essays, Gedankensplitter, Impressionen gehorchen nicht der gängigen Erzählweise mit Anfang, Mittelteil und Ende. Erlebtes wird nicht gestaltet und in eine bestimmte Ordnung gezwungen. Der Akzent liegt stattdessen auf der Anschauung, dem Spüren und Fühlen sowie der Beobachtung des eigenen Denkens. Denn ob wir die Welt verstehen oder nicht, ist der Welt egal; unsere Erklärungen kümmert sie nicht.

Unterwegssein ist eine Haltung. Sie bedeutet, sich aus den Routinen zu lösen, sich auf Fremdes einzulassen, zu staunen. Dass wir hören und sehen, gehen und liegen können, nach dem Schlafen wieder aufwachen, ist ein Wunder, dessen wir uns selten bewusst sind. Wer einfach schaut, wird mit der Zeit das Sehen lernen und dieses Wunder erfahren; wer Antworten auf Warum-Fragen sucht, ersetzt es oft nur durch eine Gewohnheit zu denken.

*Das Jetzt ist nicht zu fassen" stellt den Versuch dar, das Leben so darzustellen, wie wir es erleben: zufällig, oberflächlich, flüchtig und nicht fassbar. Das zu akzeptieren, lässt sich üben. Am besten, so hat es Hans Durrer erlebt, beim Unterwegssein.


Hans Durrer
Das Jetzt ist nicht zu fasen
Notizen von Unterwegs
neobooks, Berlin 2024