Mittwoch, 15. Januar 2025

On reality

 What we call reality is very probably the biggest delusion there is.

The call to get real means to accept the folly that we've created. Consider this: Given that we are totally lost in the universe (we do not know where we come from, have no idea what to do here, are at a complete loss as to what awaits us once we'll perish), what we are craving most is something to hold on to –  certainty, stability and order,  that is. 

The mass media now tell us that the whole world is looking forward to January 20, when the new American president, the ultimate embodiment of chaos and confusion, will be sworn in. Well, I do not. Also, I do consider all who wonder what this moron is coming up with irrational at best. That it is presented to the world as rational, is bonkers. Fact ist: What is real is not decided by any majority.

Sadly, the majority-version is the kind of reality we are living in; it is a reality that man has created. Nothing could be further from how things really are – for the universe couldn't care less what we think of it. Also, it does not depend on us, we depend on the universe.

"Our human resources, as marshalled by the will, were not sufficient, they failed utterly." (Alcoholics Anonymous). To rely on our thinking is foolish for it can trick us into believing pretty much anything – from not wanting to shake a woman's hand to voting corrupt and highly incompetent men and women into office. We would be well advised to keep in mind Philip K. Dick's insight: "Reality is that which, when you stop believing in it, doesn't go away."

Santa Cruz do Sul, 3 January 2025

Sonntag, 12. Januar 2025

Ich möchte lieber nichts

John von Düffel, 1966 in Göttingen geboren, macht sich auf nach Edinburgh, wo er Fiona treffen will, mit der er vor fünfunddreissig Jahren zusammen studiert hat. Philosophie, in Stirling. Sie waren damals kein Paar gewesen, doch er hat in all diesen Jahren oft an sie gedacht. Noch an fast jeden Satz von ihr erinnert er sich, und vor allem an ihre Stimme.

"I want to sit on a stone and think", hatte Fiona damals gesagt. Ob sie das gemacht habe?, will John wissen, worauf sie schroff antwortet: "Glaub ja nicht, dass ich dir mein Leben erzähle." Doch genau das tut sie in der Folge, nicht am Stück, und nicht im Sinn eines stimmigen Narrativs, sondern bruchstückhaft. Es ist eine Lebensauseinandersetzung, ein Prozess, nie abgeschlossen, jedenfalls für Menschen mit Fionas Naturell. 

Während des Studiums waren sie Aussenseiter, beide auf ihre jeweils eigene Art. John schloss sein Studium ab, Fiona brach es ab, da sie sich um ihren gelähmten Vater kümmern musste; auch vom Temperament her sind die beiden sehr verschieden. Das klassische Narrativ würde John vermutlich als arriviert und Fiona als gescheitert bezeichnen, doch das trifft es nicht einmal ansatzweise. Unsere  Erklärungen sind selten etwas anderes als Manifestationen unseres gewohnten Denken und dieses kommt dem, was uns antreibt, nur selten nahe. Ich möchte lieber nichts bricht dieses gewohnheitsmässige Denken (reflektiert, differenziert und folgenlos) teilweise auf; das liegt wesentlich an der Radikalität von Fiona, deren Lebensumstände ihr Denken formen.

À propos Narrativ: "Jedes Narrativ ist manipulativ", erläutert John. "Es dreht und wendet die Details, damit am Ende herauskommt, was am Ende herauskommen soll. (...) Ich traue weder den Geschichten noch dem reinen Gedanken, weder der Narration noch der Abstraktion. Insofern kehre ich nach unserem Philosophiestudium und einem langen Umweg über das Erzählen zu unseren Anfängen zurück: zu den Fragen, von denen wir damals ausgegangen sind." Eine logische und sehr konventionelle Überlegung, der jedoch entgeht, worauf Fiona aufmerksam macht: "Rückkehr zu den Anfängen ist ein klassisches Narrativ." Und: "Die Wahrheit ist, du kehrst nicht zurück, und du wirst auch nicht bleiben."

Es ist ein dichter Text, fragend, suchend, explorierend, und wieder fragend. Im Zentrum ihrer Gespräche steht die Frage: "Wie lebe ich richtig?" Keine Frage, die mich mehr umtreibt, auch heute noch, mit 71. Aber eben auch eine Frage, die man nur mit wenigen Menschen angehen kann. John von Düffel kann es mit Fiona, die bereits während des Studiums immer zuerst überlegte, bevor sie eine Antwort gab (bei den meisten erfolgen Antworten automatisch, ohne nachzudenken) und die sehr direkt mit ihm umgeht.

Sie habe gelernt, ohne Antworten zu leben, sagt Fiona. "Und wie lernt man das?", will John wissen. "Fiona wirft den Kopf zurück, ohne zu lachen. Es dauert einen Moment, bis ich begreife, dass es auch darauf keine Antwort gibt." Wunderbar!

Fiona kommt aus der Unterschicht, studieren kann sie wegen eines Stipendiums. Wie sie die bürgerliche Erziehung wahrnimmt, ist für jemandem wie mich, der wie John von Düffel dem Bürgertum entstammt, ein Augenöffner. "Bürgerliche Erziehung, wie ich heute weiss, ist die Übertragung der Erwartung der Eltern auf ihre Kinder. Und sie hat Erfolg, wenn die Kinder anfangen, von sich zu erwarten, was ihre Eltern von ihnen erwarten." Mit der Zeit werden diese Erwartungen derart verinnerlicht, dass die Kinder sie für ihre eigenen halten. Bei mir war es allerdings nicht so, doch das ist eine andere Geschichte ...

"Eine Geschichte vom Konsumverzicht" lautet der Untertitel. Klar, alles in unserer Konsumgesellschaft ist aufs Haben, aufs Immer-Mehr, aufs Den-Hals-Nicht-Vollkriegen ausgerichtet, doch was Fiona zum Konsum ("Konsum ist Diskriminierung") sagt, ist für mich neu. "Sich von anderen zu unterscheiden ist die Idee von Konsum. Dabei geht es nur vordergründig um Genuss, es geht um Gesehenwerden beim Geniessen und um die geheimen Codes, die deinen Rang definieren ...". Andererseits: Konsum ist auch Ablenkung. Und häufig ist Konsum Sucht. Fiona begreift ihn in erster Linie als Abhängigkeit.

Abhängig sind wir von Vielerlei. Und zuallererst vom Geld, dem Einzigen, woran wir alle glauben. "Die meisten Abhängigkeiten, in denen wir stecken, sind Beziehungen (...) Wer in einer Konsumgesellschaft lebt, aber nicht konsumiert, ist nicht Teil der Gesellschaft." Dazu kommt, dass der Konsum den Status bestimmt. Übrigens. Der Kapitalismus ist nicht dazu da, seine Glücksversprechen einzulösen, sondern mit der "Produktion von Mangel und Bedürfnissen" beschäftigt. Dafür braucht es Konsumenten, weshalb uns denn auch ständig eingeredet wird, wir seien alle Individualisten, für die vor allem charakteristisch ist, dass sie das wollen, was alle anderen auch wollen. "Ich will das haben, heisst, ich will die Person sein, die das hat."

"Du hast Angst vor der Veränderung, ich habe Angst vor der Nichtveränderung", schreibt Fiona nach Berlin. Der Unterschied der beiden liegt in ihrer Persönlichkeit und diese zeigt sich in der Art und Weise wie man lebt. Das Mass, so Fiona, das sei sie selber. Im Falle von John von Düffel ist das vermutlich komplizierter.

Das Buch endet mit einem Besuch von Mariann, Fionas Tochter, bei John in Berlin. Es ist ein ganz wunderbares, sowohl leichtes wie auch trauriges Kapitel, denn Mariann ist nicht nur eine Art jüngere Ausgabe von Fiona, sondern erzählt auch einiges von ihr, das John bislang gar nicht auf dem Radar gehabt hatte. Ob die Wahlmöglichkeiten, die wir zu haben glauben, auch wirklich welche sind?

Ich möchte lieber nichts ist ein aussergewöhnliches, ein wesentliches, mir sehr sympathisches Buch. Gut geschrieben, der Aufrichtigkeit verpflichtet, berührend, erhellend und hilfreich.

John von Düffel
Ich möchte lieber nichts
Eine Geschichte vom Konsumverzicht
DuMont Buchverlag, Köln 2024

Mittwoch, 8. Januar 2025

Wie man sein Leben meistert, indem man grandios scheitert

Man merkt es bereits auf den ersten Seiten, dass dies ein wirklich tolles Buch ist: Es ist der frische Ton, das eigenständige Denken, der Witz, die dazu beitragen, dass die Lektüre eine wahre Freude ist. Die Autorin Titiou Lecoq, geboren 1980, referiert nicht einfach, was sogenannte Grössen über Balzac geäussert haben, sie setzt sich damit auseinander. Auch ist Balzac selber für sie nicht die letzte Autorität in eigener Sache. So zeigt sie etwa, dass seine Schilderung seiner eigenen Mutter kaum ein realistisches Porträt gewesen sein kann

Realistisch ist hingegen (jedenfalls für meine Vorstellungswelt) wie Titiou Lecoq Balzac charakterisiert: "Er wollte bekannt, geliebt und reich werden." Und: "Balzac war ein Genie und ein sympathischer Loser, von dem wir lernen können, unser Leben selbstbestimmt zu führen. Und für eine erfolgsverliebte Gesellschaft wie die unsere ist er ein strahlendes Gegenbeispiel."

Gestaunt habe ich, dass Balzac, dessen Eltern ihn als künftigen Notar sahen, ihn bereitwillig unterstützen, als er beschloss, Schriftsteller zu werden. Und noch mehr gestaunt habe ich, dass er mit Anfang zwanzig eine Tragödie über Cromwell verfasste. Woher sein einschlägiges Wissen stammte, erfährt man leider nicht.

Dafür erfährt man einiges über das damalige Paris, wo Sein und Schrein identisch waren (und immer noch sind), was dem wenig attraktiven Balzac gar nicht entsprach. "Den Kriterien seiner Zeitgenossen zufolge glich Honoré eher einem Wurstverkäufer auf einem Markt in Tarn als jemandem, der den existenziellen Schmerz einer Epoche verkörpern musste." Zudem war er ruhmsüchtig, wollte zu den Adeligen gehören, doch die sogenannt besseren Kreise betrachteten ihn keineswegs als einen der ihren.

Balzac und Ich bietet überzeugende und überaus hilfreiche Aufklärung. So thematisierte Balzac die Wichtigkeit des Geldes, was revolutionär war, dominierte doch die Auffassung (die sich bis heute in weiten Kreisen gehalten hat), die schöngeistige Literatur solle nicht mit Profanem verunreinigt werden. Die Ironie dabei: Er selber konnte mit Geld überhaupt nicht umgehen. Er gab Geld aus, das er hatte, und auch Geld, das er nicht hatte. Die Schulden türmten sich, Mässigung kannte er nicht.

Wie jedes biografische Werk, so vermittelt auch Balzac und Ich viel Aufschlussreiches über die damalige Zeit, in der es üblich war, dass vermögende Eltern ihre Kinder in die Obhut einer Amme gaben. Und man lernt: Für den Code Civil, der 1804 erlassen wurde, war es das Eigentum, das die Familie begründete. "Es regelte daher die finanziellen Beziehungen zwischen ihren Mitgliedern."

Ausgiebig widmet sich Titiou Lecoq der Situation der Frau, die damals weitestgehend ohne Rechte war.  "Balzac beschrieb die Frauen so, wie sie sind, und nicht so, wie sie sein sollten, er stellte sie in den Vordergrund seiner Handlungen und schilderte sogar ihre Verschiedenheit. Ein unerträgliches Verbrechen für viele Kritiker seiner Zeit."

Balzac und Ich gehört zu den Büchern, die mich oft lachen machten. Weniger über Balzac, dessen Naturell mir ein Rätsel ist (so handelte er etwa komplizierte Verträge aus, an die er sich jedoch nicht gebunden fühlte), als über den Scharfsinn von Titiou Lecoq, die weit mehr als eine Biografie geschrieben hat, nämlich eine Auseinandersetzung mit grundlegenden Fragen. Zu diesen gehört auch, wie es bloss möglich ist, dass die Mehrheit sich ausbeuten lässt. Und: "Wie können wir im Einklang mit unseren Werten leben, wenn die Gesellschaft sie nicht teilt?"

Man mag es als Tragik begreifen, dass Balzac just in dem Moment starb, als er das Glück, nach dem er sich sehnte, zu fassen bekam. Man kann es aber auch ganz anders sehen: Er starb, als er zu kämpfen aufhörte. Welche Version man bevorzugt, ist eine Frage des eigenen Naturells.

Er habe zwar etliche Schwächen gehabt, sei aber im Grunde ein feiner Kerl gewesen, so Titiou Lecoq, die höchst wohlwollend mit Balzac umgeht, der ein Leben lang von Obsessionen getrieben war, die er nicht einmal ansatzweise konfrontiert, jedoch wortreich rationalisiert hat. So entstand grosse Literatur, die auch heute noch aktuell ist, wie Titiou Lecoq sehr schön am Beispiel Emmanuel Macrons darlegt.

Titiou Lecoq
Balzac und Ich
Wie man sein Leben meistert, indem man grandios scheitert.
Friedenauer Presse, Berlin 2025

Sonntag, 5. Januar 2025

Choose wisely

It occurred to me last night at a meeting, topic was acceptance, that given we are spiritual beings having a temporary human experience, we are to some degree two separate beings. Thus, we can behave in one of two ways, one from our human side which is our default position, or from our spiritual side which, for me, is much harder to do and is what the program teaches me. When difficult times confront us, I naturally try to deal with matters from my human side and ego gets in the way. If on the other hand, I can switch gears to my spiritual self, I  can accept the situation, be loving and kind towards all, forgive, harbor no resentments, do not judge others, etc. it’s like going off-road with my Jeep when the going gets tough so I put it in 4 wheel drive! If I learn how to live, or behave, as a spiritual being and set my ego (and humanness) aside I can handle difficult circumstances much better.

~ Clardy S.

Mittwoch, 1. Januar 2025

On memory & the present

 Lately, when going through letters from many years ago, I was astonished what I seemed to have completely forgotten. And, I wondered whether I then had been aware of how I had been wanted and loved. Also, I was surprised how open and witty my former girlfriends had been. No wonder had I loved them!

As mysteriously as memory works, equally mysteriously is that I can only be in the present for all I am experiencing is happening right now. Most of my life I believed it almost impossible to be in the present. The moment was fleeting, the mind always anticipating what was to come. 

Yet all of a sudden, I seemed to see Einstein's saying – The world as we have created it is a process of our thinking. It cannot be changed without changing our thinking – in a new light: Could it be that there is only the present and that the inventions of the mind (past, present, future), as useful as they might be for organising our daily lives, stand in the way of experiencing life as it is? 

It goes without saying that experiencing life as it is neither means that this feels good nor bad; it means that it feels incomprehensible, disturbing, and confusing. It seems best to not try to figure it out.

Whenever I put myself in a state of mind  that says: "This, right now, this is your life", I do realise and feel, for a moment or so, that it all feels strange, unreal and not to be grasped, let alone understood   but experienced. Differently put: What feels unreal is real.

Sargans, 27 September 2021

Sonntag, 29. Dezember 2024

Vom Staunen

2019 in Kamakura, Japan

Diese Aufnahme wurde von Daichi Koda, einem japanischen Fotografen, dessen Arbeiten ich sehr schätze, gemacht. Ich habe mich noch nie so gesehen und wundere mich speziell über meinen Haarschnitt. Fünf Jahre später geht mir beim Betrachten unter anderem durch den Kopf, dass Daichi die Geschichten von Raymond Carver mochte und seine Frau, als ich auf ihre Frage, was mein Hobby sei, keine Antwort wusste, sagte: Your hobby is thinking.

Immer wieder staune ich, was für Unterschiedliches Fotos auslösen können. Das meiste davon hat nur einen weit entfernten Bezug zur Fotografie. Was mein Hirn da beständig zusammensetzt und wieder auflöst ist mir ein Rätsel. Warum mein Hirn tut, was es tut, interessiert mich heutzutage kaum mehr; dass es mich mit endlosem Staunen erfüllt, immer mal wieder gemischt mit Angst, reicht mir vollkommen.

So recht eigentlich staune ich über alles und jedes, in letzter Zeit jedoch häufig (eine Alterserscheinung?) darüber, wie nahe Trauer und Verzweiflung liegen. Und wie eigenartig es ist, dass je mehr ich weiss, desto weniger ich zu verstehen scheine. Das ist verwirrend und befreiend, denn so sehr unser Denken auch Orientierung bietet, es engt uns auch gehörig ein, macht uns vieles vor, und führt uns oft in die Irre.

Staunen habe ich die meiste Zeit meines Lebens mit Schönheit verbunden, mittlerweile staune ich jedoch auch zunehmend über die menschlichen Abgründe. Und so sehr mich etwa Dummheit in Rage bringen kann, es tut mir entschieden besser, mich darüber zu wundern, wie  beständig und verbreitet sie ist.

Mittwoch, 25. Dezember 2024

Stufen

Nancy, am 15. November 2024

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend

Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf‘ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden…
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

Hermann Hesse